Im Laufe der Menschheitsgeschichte erlebte die Art und Weise wie wir kommunizieren immer wieder Quantensprünge. Nach der Erfindung der Sprache, der Schrift und des Buchdrucks ist die Digitalisierung der vierte große Schritt. Besonders davon betroffen ist unser Umgang mit Wissen und Kultur. Jeder kann heutzutage perfekte Kopien von Musik, Filmen, Büchern und anderen Werken erstellen, was die Geschäftsmodelle der Branchen, die sich fast vollständig auf die Vermarktung von Kopien spezialisiert haben, ins Wanken bringt. In diesem Kontext gewinnt das Urheberrecht immer mehr an Bedeutung. Doch um es durchzusetzen werden immer wieder harte Maßnahmen wie z.B. Hausdurchsuchungen und “Three-Strikes” ins Gespräch gebracht oder schon durchgeführt. Heutzutage gerät das Urheberrecht damit in Konflikt mit den bürgerlichen Freiheitsrechten. Zur Rechtfertigung solcher Maßnahmen greifen die Befürworter immer wieder zum Begriff des “geistigen Eigentums”, der dem Urheberrecht eine grundrechtliche Bedeutung verleiht. Doch die Digitalisierung selbst stellt diesen Begriff auf den Prüfstand.

Die Streitfrage des “Geistigen Eigentums”

Das Grundgesetz schützt in Artikel 14 zwar das Eigentum, doch die genaue Interpretation dieses Begriffs ist eine politische Fragestellung. Wir müssen also fragen: Können Daten überhaupt jemandes Eigentum sein? Die meisten Menschen scheinen diese Frage bereits für sich beantwortet zu haben. Filesharing wird nicht etwa durch ein paar zwielichtige Gesellen in dunklen Kellern betrieben, es ist viel mehr ein Volkssport und gerade unter Jüngeren vollkommen normal. Die Filesharer empfinden ihr Tun dabei meist überhaupt nicht verwerflich, die Verletzung des Eigentumsrechts eines anderen sehen sie darin nicht. Doch warum? Kurz könnte man es mit dem Dialog beschreiben: “Sie würden doch auch keinen Porsche klauen” – “Nein, aber wenn ich ein Porsche kopieren könnte, würde ich es tun.” In diesem Aufsatz werden wir nun versuchen diesen Gedanken mit Substanz zu füllen.

Andreas Popp. Foto: Piratenpartei Deutschland. Lizenz: CC BY 2.0.

Mit dem Begriff des Eigentums befassen sich Philosophen (häufig Staatstheoretiker) schon seit geraumer Zeit. Die Eigentumstheorien, die dabei entstanden sind, befassen sich mit einer Vielzahl von Fragestellungen. Welche Rechte umfasst Eigentum? Wer kann Eigentum haben? Diese Liste ließ sich eine gefühlte Ewigkeit weiterführen. Wir wollen uns hier auf die für uns zentrale Fragestellung reduzieren: die Entstehung und Rechtfertigung von Eigentum. Die ersten Eigentumstheorien entstanden bereits in der Antike. Der römischen Philosoph und Staatsmann Cicero (106 v. Chr. – 43 v. Chr.) hat das sogenannte Okkupationsprinzip geprägt. Danach sind Güter quasi von Anfang an in der Natur vorhanden, doch nicht das Eigentum an ihnen. Dieses entstehe viel mehr dadurch, dass ein Mensch sich das Gut aneignet (okkupiert). Danach kann dieses Eigentum durch Rechtsakte oder Sieg (in einem Krieg) übertragen werden.

Während der Aufklärung kam die Frage nach der Entstehung von Eigentum erneut auf. John Locke (1632-1704) erklärte, dass der Mensch durch seine Arbeit das herrenlose Naturgut zu seinem Eigentum macht, z.B. in dem er Erz aus dem Boden schlägt oder ein Stück Land bebaut. Dabei ist die einzige Einschränkung wie viel derjenige tatsächlich nutzen kann. Daran angelehnt ist auch das Schaffensprinzip, dass heute noch zur Begründung des “geistigen Eigentums” benutzt wird. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass der Mensch hier nichts aus der Natur entnimmt, sondern aus sich heraus schafft. Hier stellt sich die Grundsatzfrage, ob der Mensch überhaupt aus sich heraus etwas schaffen kann oder ob er nicht nur vorhandenes modifiziert oder entdeckt. So sagte bereits der französische Mathematiker und Philosoph Condorcet (1743-1794), dass jede Idee bereits in der Natur vorhanden sei. Dass wir sie aufschreiben können, sei nur die Frucht des gemeinschaftlichen menschlichen Erkenntnisprozesses. Heute würde man es vielleicht abkürzen mit: “Jedes Werk besteht nur aus Daten.”

Man könnte fast sagen, Condorcet ist vielleicht der erste Vordenker der Digitalen Revolution.

Immanuel Kant (1724-1804) geht einen völlig anderen Weg. Er lehnt ab, dass das Eigentum ein Verhältnis zwischen einer Sache und einer Person ist und sagt damit, dass physisches Eingreifen per se kein Eigentum begründet. Viel mehr ist Eigentum eine Einschränkung der Rechte der Anderen und funktioniert nur durch deren Anerkennung. Dies ist im Staat (Gesetz) Ausdruck des “vereinigten Willens aller”, der sich idealerweise auf Vernunftgründe stützt. Mein Auto gehört also nur mir, weil sich alle vorher darauf geeinigt haben, nicht mehr und nicht weniger.

Eigentum ist durch Vernunft entstanden

Schon im 7. Gebot heißt es “Du sollst nicht stehlen”. Der Skeptiker David Hume (1711-1776) beschreibt das Eigentum etwas genauer als Ausdruck von Knappheit und Gewöhnung. Der ökonomische Knappheitsbegriff ist zentral für das Eigentum. Er sagt, dass ein Gut dann knapp ist, wenn die Verwendung des Gutes durch eine Person für einen bestimmten Zweck, die Verwendung des Gutes durch andere Personen und/oder für einen anderen Zweck einschränkt. Anders ausgedrückt: Es gibt Interessenskonflikte an knappen Gütern. Wenn etwa jemand auf einem Grundstück ein Haus bauen will, der andere dort lieber Weizen anbauen würde, muss dieser Konflikt aufgelöst werden. Hierfür wurde durch die Gesellschaft bzw. den Staat das Eigentum etabliert. Im wesentlichen lassen sich aus dem letzten Abschnitt drei Prinzipien zusammenfassen: Das Okkupationsprinzip, das Arbeitsprinzip und das Knappheitsprinzip. Doch welchem folgen nun die Filesharer, die am liebsten dort draußen die Porsches kopieren wollen? Schauen wir uns dazu ein paar illustrierende Beispiele an.

Das Eigentum an einer beweglichen Sache ist nach allen drei Prinzipien begründbar. Die herrenlose Sache kann aus der Natur okkupiert werden, sie kann durch Arbeit aus ihr hervorgehen (z.B. im Steinbruch) und sie sind im ökonomischen Sinne knapp. Komplizierter wird es bei Eigentum an Boden. Dieser lässt sich zweifelsfrei okkupieren. Das Arbeitsprinzip benötigt hier schon ein menschliches zutun, ein Eigentum an unbearbeitetem Urgrund, das in unserer Gesellschaft auch üblich und akzeptiert ist, wäre schon schwieriger. (Durch das Schaffensprinzip alleine lässt sich das Eigentum an Boden übrigens überhaupt nicht erklären.) Das Knappheitsprinzip begründet grundsätzlich Eigentum an Boden, denn jedes Stück Land ist für sich gesehen knapp.

Das schönste Beispiel zur Illustration der Problemstellung ist die Atemluft. Niemand in unserer Gesellschaft würde ein Eigentum an Atemluft akzeptieren. Hier versagt das Okkupationsprinzip, weil sonst jeder das Recht hätte einfach alle Luft auf der Welt zu seinem Eigentum zu erklären. Das Arbeitsprinzip kann so oder so ausgelegt werden, immerhin ist Atmung auch eine Form von Arbeit. Doch man kann das Ausatmen als Rückabwicklung betrachten. Das Knappheitsprinzip verneint ein Eigentum an Atemluft, immerhin atmen wir schon immer die gleiche Luft und kommen uns dort nicht in den Weg.

Doch was ist wenn Atemluf plötzlich knapp wird? Einige erinnern sich vielleicht an Mel Brooks’ Komödie “Space Balls”. Der Planet gleichen Namens hat seine Atmosphäre kaputt gemacht und man kauft dort Atemluft in Dosen. Für diesen hypothetischen Fall ist ein Eigentum an Atemluft notwendig, denn sie wird dadurch ökonomisch knapp. Hier sieht man, dass das Knappheitsprinzip als einziges eine brauchbare Begründung für das Eigentum liefert.

Das Urheberrecht braucht eine andere Grundlage

Was heißt das nun für das “geistige Eigentum”? Werke wie Musikstücke und Filme sind – wie wir dank der Digitalisierung wissen – nicht viel mehr als Daten, Nullen und Einsen und damit nichts anders als große Zahlen. Daten sind nicht ökonomisch knapp, man kann sie durch Kopieren nicht mal stehlen, immerhin hat sie der vermeintlich Bestohlene ja immer noch. Sie sind in beliebiger Menge vervielfältigbar und jeder kann sie nutzen ohne andere dabei einzuschränken.

Früher war das noch nicht ganz realisiert. Die Knappheit der Datenträger sorgte für die faktische Knappheit der Daten und da Massenvervielfältigung nur in kommerziellem Stil ökonomisch sinnvoll war, musste man nur das Verhältnis von Urhebern und Verwertern regeln. Dank des Internets ist das Geschäftsmodell der Verwerter – die Vervielfältigung und Verbreitung – nun größtenteils obsolet, weil dies jeder am Rechner selbst erledigen kann.

Nun ist es dennoch so, dass der Urheber in der besonderen Situation ist, dass zwar sein Produkt (das Werk) nicht knapp ist, seine Produktionsfaktoren (primär seine Arbeit) es jedoch sehr wohl sind. Aus diesem Grund ist eine Unterstützung seiner Leistung durch ein Urheberrecht durchaus volkswirtschaftlich gesehen sinnvoll, wollen wir doch, dass die Urheber ihre wertvolle Zeit mit Schaffen verbringen, nicht damit Geld zu verdienen, um sich das Schaffen leisten zu können. Dennoch ist das “geistige Eigentum” – ab nun korrekterweise mit einem “sic!” zu versehen – kein haltbares Konzept um das Urheberrecht darauf zu stützen.

Andres Popp, 28, ist Wirtschaftsmathematiker und Mitglied der Piratenpartei. Er war von 2009-2011 stellvertretender Bundesvorsitzender. Sein Beitrag hier steht unter der Lizenz CC BY-SA 3.0.

Source : http://www.heise.de/tp/artikel/35/35727/1.html

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