“Jetzt geht’s dem Neger an den Kragen” titelte Ernst Corinth in Telepolis vor fast zehn Jahren, als der Kurdenforscher Günther Max Behrendt von der Hannoverschen “Antidiskriminierungsstelle” die Zensur eines bekannten Romans von Agatha Christie erwirkte. Dass der Deutsche Presserat vorher feststellte, dass “Neger” kein Schimpfwort ist, störte die eifrige Ein-Mann-Behörde dabei wenig. Wer solche Kriterien anlegt, der findet noch viel zu säubern, merkte Corinth damals an, und verwies auf ein Gedicht von Johann Georg Scheffner und den rheinischen Karneval, wo man gerne die Stimmungshits von Ernst Neger singt.

Zum Teil erfolgreich war ein Angriff auf Hergés Tim-und-Struppi-Comics, die die britische Commission for Racial Equality (CRE) 2007 aus den Buchhandlungen nehmen und in die Museen verbannen wollte, wo sie mit dem Warnschild “Altmodisches, rassistisches Geschwätz” versehen werden sollten. Als Grund dafür nannte die CRE die “wilden Eingeborenen” in der Erzählung Tim im Kongo, die ihrer Ansicht nach “wie Affen aussehen und wie Schwachsinnige sprechen”. Mittlerweile packt der Verlag Egmont UK den Kongo-Band in eine Schutzbanderole, die vor dem Inhalt warnt, den manche Menschen anstößig finden könnten – trotz einer darin enthaltenen langen Erklärung des Übersetzers zu den Klischees der Zeit, in der das Werk entstand. Und die Waterstones-Kette verkauft ihn nicht mehr in ihren Kinder-, sondern in den Erwachsenenabteilungen.

Ein Dauerbrenner in Sachen Zensurattacken ist Mark Twains erstmals 1884 erschienener Klassiker Adventures of Huckleberry Finn. In einer im Februar 2011 erschienenen Neuauflage ersetzte man die Wörter “injun” durch “Indian” und das 219 mal auftauchende “nigger” durch “slave”. Alan Gribben, ein Literaturprofessor an der Auburn University in Montgomery, der die Änderungen vornahm, erklärte, er habe bei Vorträgen die Erfahrung gemacht, dass sein Publikum weniger “verstört” sei, wenn er aus seiner bearbeiteten Fassung vorliest.

Allerdings gibt es zahlreiche Wissenschaftler, die solch einer Wohlfühlzensur kritisch gegenüberstehen und darauf verweisen, dass man die amerikanische Geschichte zwischen 1835 und 1845 dadurch weniger rassistisch erscheinen lässt, als sie es tatsächlich war. Besonders pikant wird die Zensur dadurch, dass Twain sich sehr viel Mühe mit seinen Texten gab und für den Ausspruch bekannt ist, der Unterschied zwischen dem “richtigen” und dem “fast richtigen” Wort sei “really a large matter”. Einem Drucker, der Änderungen in der Interpunktion von A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court vorgenommen hatte, verschaffte er einen Platz in der Literaturgeschichte indem er über ihn schrieb, er habe angeordnet “ihn zu erschießen, ohne dass er vorher Zeit zum Beten bekommt”. Wenig verwunderlich also, dass die Londoner Times in ihrer Besprechung der “kultursensiblen” Neuauflage zu dem Fazit kam, sie sei ein “well-intentioned act of cultural vandalism and obscurantism that constricts rather than expands the life of the mind”.

Ein neuer deutscher Vorstoß gegen Weltliteratur stammt von der “feministischen Theologin” Eske Wollrad, die 1999 über “Wildniserfahrung” als “Womanistische [sic] Herausforderung und eine Antwort aus Weißer [sic] feministischer Perspektive” promovierte und dafür einen Förderpreis der Marga-Bührig-Stiftung erhielt. Sie sprach letzte Woche in Leipzig im Rahmen einer Veranstaltung mit dem Titel “Das Gift der frühen Jahre” über angeblichen “Rassismus in Kinderbüchern”, den sie nicht nur im Splatter-Comic Struwwelpeter, sondern auch in Astrid Lindgrens Pippi-Langstrumpf-Klassikern verortet.

An diesem über 60 Jahre alten Werk stört Wollrad nicht nur, dass die Hauptfigur Pippi an einer Stelle das (von der Theologin möglicherweise nicht als solches erkannte) Wahrheitsparadoxon formuliert, sie habe das Lügen in Afrika gelernt, oder der vom Verlag ohnehin schon in einen “Südseekönig” umzensierte Beruf “Negerkönig”, den der Vater des erfundenen Mädchens zeitweise ausübt, sondern auch, dass die Zusammensetzung der Protagonisten “nicht der heutigen Wirklichkeit entspricht”, in der jedes dritte Kind einen “Migrationshintergrund” habe.

Genau genommen besteht allerdings die fast ausschließlich schwedische Belegschaft von Pippi Langstrumpf an der deutschen Realität gemessen zu praktisch hundert Prozent aus Ausländern – weil das Buch nun einmal zum größten Teil in der schwedischen Vergangenheit spielt. Eine realistische Wiedergabe der aktuell gültigen Bevölkerungszusammensetzung findet sich überdies auch in Tierfabeln, Märchen, Fantasy-Epen und Science-Fiction-Erzählungen mit Aliens nicht. Und schon gar nicht bei den religiösen Mythen, die Religionslehrer gewordene Theologen Grundschulkindern als Wahrheiten verkaufen. Aber sind RTL-Shows wie Deutschland sucht den Superstar deshalb die bessere Kinderunterhaltung?

Der sächsische Ausländerbeauftragte Martin Gillo meinte auf Presseanfragen zu der Veranstaltung, man solle “der Weltliteratur keinen Maulkorb verpassen” und könne Kinder besser als durch Verbote dadurch erziehen, dass man mit ihnen über ihre Lektüre spricht. Auch dem mit Steuergeldern bezuschussten Antidiskriminierungsbüro Sachsen, das den als “praxisbezogenes Vertiefungsangebot für Pädagog_innen” [sic] beworbenen “Workshop” veranstaltete, scheint der Vorstoß der Theologin mittlerweile peinlich zu sein: Für eine Stellungnahme ist dort niemand erreichbar, dafür versuchte man die Ankündigung der Veranstaltung von der Website zu löschen.

Source : http://www.heise.de/tp/artikel/35/35851/1.html

Von : Peter Mühlbauer in Telepolis > Medien