Musikdateien ohne DRM können Raubkopieren reduzieren

Musikdateien ohne DRM können Raubkopieren reduzieren

Kopierschutz und Verwendungsbeschränkungen durch Digital-Rights-Management-Systeme verhindern nicht Urheberrechtsverletzungen, sondern tragen eher dazu bei, diese zu fördern. Dass DRM-Beschränkungen nach hinten losgehen, ist keine ganz neue Erkenntnis, Dinah Vernik von der Rice University und Devavrat Purohit sowie Preyas Desai von der Duke University haben dies nun im Hinblick auf die Musikbranche noch einmal bestätigt.

Für ihre Studie, die in der Zeitschrift Marketing Science erscheinen wird, haben sie in einem Modell untersucht, wie Urheberrechtsverletzungen bzw. Raubkopieren und Verkäufe durch DRM-Beschränkungen beeinflusst werden. Verglichen wurden dabei CD-Käufe auf der einen Seite und legale digitale Downloads mit oder ohne DRM sowie illegale Downloads. Zwar machen DRM-Systeme das Raubkopieren schwerer und teurer, aber was entscheidender ist, sie wirken sich negativ auf die Benutzer aus, die eigentlich kein Interesse haben, etwas Illegales zu tun, die sich aber etwa darüber ärgern, dass sie selbst von legal erworbenen Musikdateien nicht einmal Sicherheitskopien anlegen können. Man bezahlt also brav, wird aber in der Nutzung der gekauften Dateien eingeschränkt, während die Raubkopierer nichts zahlen müssen und zudem freie Hand haben, also klar im Vorteil sind. Konsumenten würden auch aus diesen Gründen auf Raubkopien umsteigen.

Das Anbieten von DRM-freien Musikdateien müsse aber keineswegs das Raubkopieren verstärken, sondern könne es sogar reduzieren, so die Wissenschaftler nach Auswertung ihrer Berechnungen. Digitale Dateien, die DRM-frei sind, gleichen eher den Nutzungsmöglichkeiten, die der Käufer besitzt, wenn er sich eine CD kauft und in der Konkurrenz mit dem traditionellen Format würden dann wieder eher legale Downloads von Musikstücken gemacht werden, während die Zahl der Raubkopierer sinke, aber auch die Zahl der CD-Verkäufe.

Insgesamt würde die Zahl der legalen Verkäufe steigen, was hieße, dass keine Verluste gemacht würden, zumindest wenn das Modell auch in der Wirklichkeit zutrifft. Zudem könne der Anbieter digitale Downloads, die DRM-frei sind, auch zu einem höheren Preis verkaufen, weil der Konsument nicht in der Nutzung eingeschränkt ist. Ähnliches sei auch bei anderen digitalen Produkten wie Filmen, Bücher oder Hörbüchern der Fall, behaupten die Wissenschaftler. “Unsere Ergebnisse”, so Varnik, “kommen zu einer kontraintuitiven Schlussfolgerung, nämlich dass die Entfernung von DRM wirkungsvoller bei der Bekämpfung von Raubkopien sein kann als eine weitere Verstärkung von DRM.”

Source : http://www.heise.de/tp/blogs/6/150594

Von :  Florian Rötzer in Telepolis > Kultur und Medien-News

Kindergarten-Karaoke ohne Angst vor der Gema

Kindergarten-Karaoke ohne Angst vor der Gema

Nachdem die Verwertungsgesellschaft Gema im Auftrag der VG Musikedition 2009 begann, von deutschen Kindergärten Geld zu fordern, kam der im Umfeld der Piratenpartei gegründete Verein Musikpiraten auf die Idee, den reichen Schatz an gemeinfreiem Liedgut Erziehungseinrichtungen in einer Form zur Verfügung zu stellen, der sie vor solchen Forderungen schützt. Daraus entstand erst eine Sammlung von Weihnachtsliedern und später das Notenbuch Kinder wollen Singen, das in über 50.000 gedruckten Exemplaren an Kindergärten und Kindertagesstätten überall in Deutschland verteilt wurde.

Nun hat der Musikproduzent Martin Schubert im Friedrichshainer TonInTon-Studio Instrumentalversionen dieser Lieder eingespielt. Schubert, der zum Jahresbeginn aus der Gema austrat, widmete dem Projekt fast drei Monate Freizeit und arrangierte die Lieder je nach deren “Charakter” mit unterschiedlichen Instrumenten. Das Stück Jetzt fahr’n wir übern See nahm er sogar in zwei Versionen auf, weil sich dessen Aufführungstradition in verschiedenen Regionen Deutschlands “vom Tempo her stark unterscheidet”. Auf die Idee, das Liederbuchprojekt durch das Einspielen von Instrumentalversionen zu fördern, kam Schubert eigenen Angaben zufolge, weil er die Erfahrung machte, dass “nicht jede Kindergärtnerin ein As auf der Gitarre oder dem Klavier ist” und weil die Personaldecke manchmal so dünn ist, dass während des Musizierens die Betreuung der Kinder leidet.

Die 50 Stücke, die Schubert aufnahm, sollen Ende der Woche der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Ab Donnerstag oder Freitag kann man sie auf der Website des Vereins herunterladen oder als CD vorbestellen. Handelt es sich beim Empfänger um einen Kindergarten oder eine Kinderkrippe, wird die CD kostenlos zugesandt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Vorbestellung bis Ende Oktober erfolgt. Auch Schulen, Kirchen und andere Bildungseinrichtungen können sich bewerben. Die Creative-Commons-Lizenz CC-BY-NC-SA, unter der die Aufnahmen erscheinen, ermöglich Privatleuten und Institutionen nicht nur das nicht kommerzielle Kopieren und Verbreiten, sondern auch die Verwendung für eigene neue Werke. Dadurch können Kindergärten Stücke im Karaoke-Verfahren einsingen und die Aufnahmen Eltern oder Mäzenen als Andenken zukommen lassen.

Source : http://www.heise.de/tp/blogs/6/150456

Von : Peter Mühlbauer in Telepolis > Kultur und Medien-News

Wenn in Kalifornien ein Fahrrad umfällt…

Wenn in Kalifornien ein Fahrrad umfällt…

Ein Radunfall in Kalifornien. Der Fahrer erwacht am Rand einer bergab verlaufenden Straße aus seiner Bewusstlosigkeit. Er vergewissert sich: Schürfwunden am Bein und am rechten Handrücken (!), eine tiefere Fleischwunde am Knie, der Kopf wurde zum Glück durch den Helm, der auf der einen Seite bis fast zur Schaumstoffeinlage abgeschliffen wurde, geschützt. Den herbeigerufenen Sanitätern kann er ein “A and O times 3” melden. D.h. er kann auf drei der “Alert-und Orientiation”-Fragen antworten: “Wer sind Sie, wo sind Sie und welches Datum bzw. welche Uhrzeit haben wir?”

Er hätte “A and O times 4” lieber gehabt, denn auf die Frage, wie er dorthin gekommen war, wo er sich jetzt befand, hatte er keine Antwort.

Dass es ein Sturz war, der ihn in diese Lage gebracht hatte, daran gab es keinen Zweifel, die Schürfwunden, der beschädigte Helm und das kaputte Rad waren eindeutige Zeichen. Doch wie es dazu kam, war dem Mann ebenso rätselhaft, wie die Schürfwunden am Handrücken. Normalerweise sind es doch die Innenseiten der Hände, die beim Abfangen eines Sturzes den schmerzhaften Bodenkontakt eingehen. Er kann sich nicht an den Sturz erinnern, sein Kopf hat, wie sich erst später herausstellt, nur Bruckstücke aus der Zeit unmittelbar vor dem Sturz gespeichert. Für den Radfahrer Anlass zu sorgenvollen Fragen, ob er nicht vielleicht an Störungen leidet, die zur Ohnmacht führen konnen, so dass er bereits vor dem Sturz bewusstlos war.

Vogelperspektive

Reconstructing a Bike Crash

Beim TV-Schauen der Tour de France von seinem Krankenlager aus kommt er durch die Vogelperspektive der Kameras auf die Idee, seinen Unfall mit einem GPS-Gerät zu rekonstruieren, wie es unter Geo-Cachern benutzt wird. Mit Hilfe der Daten seines Geräts kann er seine Tour am Rechner zurückverfolgen und kann via Google-Maps sehr genau die Stelle orten, wo sich sein Tempo stark vermindert hat, ohne dass sich sein Pulsschlag verlangsamt hätte.

“My Garmin was unharmed, and when I uploaded the data I could see that in the roughly eight seconds before I crashed, my speed went from 30 to 10 miles per hour – and then 0 – while my heart rate stayed a constant 126. By entering the GPS data into Google Maps, I could see just where I crashed.”

Er begibt sich an Ort und Stelle und findet ein “langes dünnes und tiefes Schlagloch”. Manche Erinnerung kommt wieder, so etwa, dass seine Hände vom Lenker losgeschlagen wurden, er sie aber wieder an die Bremsen brachte und sie bis zum Sturz nicht mehr losließ. Die rechte Hand blieb dran und wurde offensichtlich beim Sturz in der Haltung eingeklemmt, in der der Rücken am Boden war.

“booming new industry for experts”

Die Geschichte der Rekonstruktion des Unfalls ist in der New York Times nachzulesen, sie ist nicht nur wegen der privatbiografischen Ermittlungsarbeit des Radfahrers interessant, sondern weil sich darin Hinweise finden, dass die Geo-Caching-Geräte künftig bei versicherungstechnischen Ermittlungen eine größere Rolle spielen können.

Es sei sogar wahrscheinlich, dass daraus ein lukrativber Geschäftszweig für Versicherungsexperten entstehe, wird ein Anwalt zitiert: “It’s important for people who are representing the injured people or the insurance companies to know how to obtain and analyze the data.” Unterlegt wird dies mit einem Fall, wo ein Radfahrer, der mit einem Auto kollidierte – und einer Fahrerin, die gegenüber der Polizei abstritt, dass sie ihn überhaupt berührt habe, durch die Daten seines GPS-Gerätes später recht bekam.

Zwar seien Spuren am Auto zu erkennen gewesen, aber da die Polizei keine sicheren Angaben darüber machen konnte, woher der Radfahrer kam, konnte die Schuldfrage für die Versicherung der Autofahrerin so ausgelegt werden, dass sie nicht zahlen musste. Die Polizei wollte die Bagatelle nicht weiterverfolgen, doch brachte sie den Radfahrer auf die Idee, die Daten des GPS-Gerätes an die Versicherung der Autofahrerin zu schicken. Einen Tag später, so der Zeitungsbericht, war die Versicherung bereit zu zahlen.

Mitte August hatte bereits ein Artikel in Wired darauf aufmerksam gemacht, dass elektronische Geräte im Auto, die über Positionen und Geschwindigkeiten informieren, für Versicherungsagenten wertvolle Datenquellen sein können.

Source : http://www.heise.de/tp/blogs/6/150435

Von : Thomas Pany in Telepolis > Kultur und Medien-News

Musikdateien ohne DRM können Raubkopieren reduzieren

Piraten sind die besten Kunden – auch im Musikgeschäft

Vor zwei Wochen berichtete Telepolis über eine unter Verschluss gehaltene Studie, nach der Nutzer von Streamingportalen wie kino.to mehr DVDs kauften, öfter ins Kino gingen und dort mehr Geld ließen als Personen, die keine nicht lizenzierten Angebote nutzen. Nun gab der frühere EMI-Manager Douglas C. Merrill auf der CA World Expo in Sydney zu, dass eigene Studien seines ehemaligen Arbeitgebers ergaben, dass Personen, die über den P2P-Dienst LimeWire unlizenziert Musik herunterluden auch die besten Kunden von iTunes waren. Filesharing sieht er deshalb als “try-before-you-buy marketing”, für das die Musikindustrie nicht einmal zahlen müsse.

Bei EMI war am Freitag niemand zu erreichen, der diese Äußerung kommentieren wollte. Merrill, der vor seiner Zeit bei EMI CIO bei Google war, fiel bereits 2008 mit der Bemerkung auf, dass es Daten gebe, die darauf hindeuten, dass das Phänomen Filesharing Musikern nicht schadet, sondern eher nützt. Deshalb solle man sich genauer ansehen, welche konkreten Formen von Filesharing welche konkreten Auswirkungen haben. “Fans verklagen”, so der damalige Präsident des Bereichs “Digital Business” damals, “scheint mir keine Gewinnerstrategie zu sein”.

Source :  http://www.heise.de/tp/blogs/6/150213

Von : Peter Mühlbauer in Telepolis > Kultur und Medien-News

Musikdateien ohne DRM können Raubkopieren reduzieren

Sonnenkult

Ist Kernenergie autokratisch und Sonnenergie demokratisch? Befördert die Hinwendung zu Solarstrom die Demokratie in Deutschland? Besitzen Sonne und die von ihr gespendete Energie gar demokratische Züge und Eigenschaften?

Ulrich Beck, Soziologe an der LMU in München und Mitglied der Ethik-Kommission der Bundesregierung, die den Atomausstieg Deutschlands argumentativ befeuerte, scheint davon felsenfest überzeugt zu sein. In einem Artikel, den er neulich in der F.A.Z. publizierte (Der Irrtum der Raupe), kann man das nachzulesen.

Die Havarie in Fukushima habe deutlich gemacht, dass Kernkraft an sich “hierarchisch” und “antidemokratisch” sei. Sie sozialisiere Risiken und Gefahren, während sie Profite privatisiere. Die Sonnenenergie sei da völlig anders. Da “niemand das Sonnenlicht besitzen, es weder privatisieren noch nationalisieren könne”, werde derjenige “unabhängig”, der sie erschließt und nutzt. Darum zöge der Einstieg in die Sonnenenergie “emanzipatorische Konsequenzen” nach sich. “Staaten und zivilgesellschaftlichen Bewegungen” böte sie “neue Legitimationsquellen und Handlungsoptionen”, derer sie sich nur “bemächtigen” müssten.

Mal abgesehen davon, dass eine Katastrophe kaum als “Legitimationsquelle” taugt, hat es mit dem “Bemächtigen” und “Entmächtigen”, mit “Bewegung” und “Entscheidung”, mit “historischen Augenblick” und “existentiellen” Problemen so seine Bewandtnis. Vor allem hierzulande. Unwillkürlich taucht vor dem Hellhörigen jene jüngere deutsche Geschichte auf, in denen diese Semantik und dieses Vokabular eine unselige Rolle gespielt.

Unumkehrbar machen

Er wird sich vielleicht an Martin Heideggers “Rektoratsrede” erinnern, als dieser am 24. Juni 1933, nach der Machtergreifung der Nazis und kurz nach der “Sommersonnenwende”, ebenfalls Feuer, Licht und Flammen bemühte, um seinen Studenten den Weg und Alleingang eines neuen, nationalen Deutschlands zu weisen. “Flamme!”, tönte Heidegger im Hörsaal vor versammelten Braunhemden, “Dein Lodern künde uns: Die deutsche Revolution schläft nicht, sie zündet neu umher und erleuchtet uns den Weg, auf dem es kein Zurück mehr gibt.”

Den irreversiblen Weg, den die “deutsche Bewegung” eingeschlagen hat, kennt man. Das tausendjährige Reich hielt gerade mal zwölf Jahre. Ihn muss man sich auch deswegen ins Gedächtnis rufen, weil sich die Regierung bei der Energiewende (wie später auch in der Griechenland-Hilfe) auf einen “Notstand” berufen hat. Zumal es dadurch möglich wurde, das Parlament von der Entscheidungsfindung auszuschließen und die Abgeordneten zu Abnickern und Durchwinkern umzufunktionieren.

Carl Schmitt hätte sich angesichts dieser neuen Form “demokratischer Selbstermächtigung” in seinen antiliberalen Haltungen und antidemokratischen Gefühlen wieder mal bestätigt gefühlt. Und über eine derart krude Freund-Feind-Zuspitzung, hier die böse Atomlobby, dort die gute Solarindustrie, hätte er vermutlich eher verdutzt die Stirn gerunzelt.

In einem Rechtsstaat wie dem unsrigen gibt es dafür, darauf haben sowohl Ulrich Schacht in der F.A.Z. (Will er jetzt den Sonnengott spielen) als auch Alexander Marguier in der Zeitschrift Cicero (Am deutschen Wesen soll die Welt genesen) hingewiesen, ebenso bewährte wie gut funktionierende Institutionen, die über so weit reichende und tief greifende Entscheidungen befinden und/oder “anti-demokratische” Unternehmen, wie sie die Kernkraftindustrie angeblich sein soll, überwachen und kontrollieren.

Noch übten im demokratischen Rechtsstaat die Parlamente und die vom Volk gewählten Abgeordneten die Entscheidungsgewalt aus, weder eine sich selbst legitimierende Regierung noch ein havariertes AKW in 9.000 Kilometer Entfernung könnten dies ändern – Vernetzung und Globalisierung hin oder her.

Verpasste Emanzipation

Auch mit der “Emanzipation”, Lieblingsvokabel der Sechziger und Siebziger des letzten Jahrhunderts, verhält es sich bei weitem nicht so simpel, wie der Soziologe sich das an seinem Schreibtisch vielleicht ausmalen mag. Zu ihr gehört, dass die Betroffenen die Gelegenheit haben müssen, sie als “ihre Sache” wahrzunehmen. Wird sie per Command and Control verkündet, an- oder verordnet, dann wäre sie verpasst.

Seitdem die herrschende Meinung die Energiewende öffentlich sanktioniert, scheint es, als ob dieser Entscheidung ein autokratischer Automatismus folgt. Wer sie nicht nach- oder mitvollzieht, könne, wie der deutsche Umweltminister das neulich verlauten ließ, schnell “an den Rand der Gesellschaft” gedrängt werden. Der “Sonnenstaat”, den in der Renaissance Tommaso Campanella bekanntlich als autokratische “Sozialutopie” entwarf, lässt schon mal grüßen.

Mit technokratischen Programmen kann, das haben die politischen und pädagogischen Menschenversuche in den Bildungseinrichtungen der Siebziger Jahre gezeigt, Mündigkeit ebenso produziert werden wie Unmündigkeit. Wer vor der Energiewende noch für kritikfähig und verantwortlich gehalten wurde, wer kreativ und selbstbestimmt gehandelt hat, kann, wenn er nicht in den mehrheitlichen Chor der Überzeugten einstimmt, rasch für “verantwortungslos” und “wirklichkeitsblind” gehalten werden, “blind für emanzipatorische Konsequenzen” wie eben, laut Beck, “Amerikaner, Briten und Franzosen”.

Bevor er derart politisch bedenklichen Unsinn verbreitet, hätte der Soziologe besser daran getan, sich etwas genauer mit der Sonne auseinanderzusetzen. Zeit dafür hätte er seit seiner Emeritierung ja. Dann wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass ohne das astrophysikalische Studium der Kernprozesse, die in der Sonne stattfinden, weder die Wasserstoffbombe erfunden noch eine friedliche Nutzung der Kernenergie möglich gewesen wäre. Die Sonne ist mithin nicht nur Segen, sondern eben auch Fluch, sie leuchtet, wärmt und macht lebendig, sie blendet aber auch, treibt in den Wahnsinn, gefährdet die Gesundheit und ist auch todbringend.

Wer wüsste das besser als Ikarus, der sich mit seinem Flugapparat im Hochgefühl zu nahe an sie heranwagte und abstürzte; wer wüsste das nicht besser als Azteken und Mayas, die dem Sonnengott zu Ehren, Sonnenpyramiden bauten, und ihm, um ihn zu besänftigen, Menschenopfer darbrachten; und wer wüsste das nicht besser als Hannelore Kohl, die, weil sie das Sonnenlicht nicht mehr vertragen konnte, schon beim Morgengrauen die Jalousien herunterließ und sich der Dunkelheit anheim gab.

Souverän sein

Die Sonne ist weder demokratisch noch autokratisch. Sie ist weder Garant des Lebens noch ist sie, wie Platon das in seinem “Sonnengleichnis” darstellt, das Wesen des “Wahren, Guten und Schönen”. Wäre der Soziologe Naturwissenschaftler, dann wüsste er, dass der forschende wie auch der denkerische Umgang mit der Sonne erhebliche Gefahren und Risiken birgt.

Falls der Sonne überhaupt ein Status zukommt, dann ist es der der Souveränität – im landläufigen wie im metaphysischen Sinn. Souverän ist sie, weil niemand ihren Lauf stören kann. Sie tut, was sie tut; sie scheint oder scheint nicht, mal stärker, mal schwächer, mancherorts öfter, andernorts viel zu wenig. Sie produziert üppiges Wachstum genauso wie Wüsten aus Sand, Eis oder Schnee.

Deutlich wird das, wenn man die Sonnenenergie in den größeren Rahmen einer Allgemeinen Ökonomie stellt. Dann erkennt man, dass die Sonne deutlich mehr Energie produziert als für das Leben und Wachstum auf der Erde notwendig ist. Dieses Überschuss-Prinzip findet man dank ihrer in allen lebenden Systemen, bei Pflanzen und Tieren genauso wie bei Menschen.

“Sonnenstrahlung”, konstatiert Georges Bataille in Die Ökonomie im Rahmen des Universums, zeichnet sich “durch ihren einseitigen Charakter aus: sie verliert sich ohne Berechnung, ohne Gegenleistung.” – “Sie gibt”, heißt es später in “Die Aufhebung der Ökonomie”, “ohne je etwas dafür zu bekommen.”

Großer Mittag Da wir nur einen gewissen Teil ihrer Strahlung nutzen, sie rationalisieren und ökonomisieren können, bleibt stets ein Rest, der verausgabt und verschwendet werden muss. Und weil dieser Rest auch nur eine gewisse Zeit lang kontrollierbar ist, wir auf ihre erste große Gabe nicht mit einer noch größeren Gegengabe antworten können, muss diese Überschussenergie ruinös verschwendet werden, durch Exzesse, Kunst und Kriege.

Um der Sonne Gabe und Geschenk (Gift bei Marcel Mauss) zurückgeben zu können, müsste der Mensch selbst zur Sonne werden, er müsste ihre Energie aufnehmen und das “ruhmvoll verausgaben, was die Erde angehäuft, was die Sonne verschwendet”. Er müsste mithin “ein Lachender, ein Tanzender, ein Festgeber” werden, der sich ohne Berechnung selbst verliert.

Von dieser “Zeit des großen Mittags”, wie es bei Nietzsche heißt, ist die bürgerliche Kapitalwirtschaft genauso meilenweit entfernt wie die “grüne” Nachhaltigkeitsökonomie. Das Symbol ihrer “Bewegung” müsste daher eher die “grüne Mamba” sein als die “Sonne”.

Source : http://www.heise.de/tp/blogs/6/150169

Von : Rudolf Maresch In : Telepolis > Kultur und Medien-News