Informatik für alle

Informatik für alle

Der Koalitionsvertrag verspricht Computer und WLAN für die Schulen. Aber ohne ein Pflichtfach Informatik bleiben die Schüler digital unmündig.

Ein Gastbeitrag von Urs Lautebach.

Es klingt hübsch, den Schulen WLAN, Beamer und Tablets zu versprechen, aber Bildung kommt weder mit dem Möbelwagen, noch wird sie im Klassenzimmer an die Wand geschraubt. Die gesamte Digitalisierungsdebatte übersieht den wichtigsten Punkt: Geräte garantieren kein Verständnis und kein Wissen, so wenig wie die Anschaffung von Instrumenten den Musikunterricht ersetzt. Trotzdem spricht der aktuelle Koalitionsvertrag nur von “digitale[r] Lernumgebung” und “Infrastruktur”, und auch die geforderte “Medienkompetenz” macht Schüler und Schülerinnen weiterhin nur zu Usern und Konsumenten.

Und wer kennt diese Haltung nicht: “Google funktioniert, mehr muss ich nicht wissen.” – “Mein Word will heute wieder nicht.” Diese Hilflosigkeit führt in eine digitale Unmündigkeit, denn wer von Informatik keine Ahnung hat, kann zwar die Systeme benutzen, die andere entwerfen und bewirtschaften, aber er oder sie kann sie nicht hinterfragen und schon gar nicht an eigene Bedürfnisse anpassen. Zu technisch geprägten Themen kann er sich keine Meinung bilden und die Wahrnehmung bestimmter Rechte bleibt ihm zunehmend verwehrt.

Mündige Informationsbürger

Dabei kann die Haltung der souveränen Bürgerin zur Informationstechnik durchaus von Skepsis, Kritik oder sogar Ablehnung geprägt sein. Um aber eine solche Haltung überhaupt vertreten zu können, muss sie etwas von der Sache verstehen. Ein Beispiel dafür ist die Wahlcomputer-Debatte, in der das Bundesverfassungsgericht 2009 ein Machtwort sprechen musste: Der Einsatz ist verfassungswidrig, weil “die …Wahlhandlung … vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüfbar sein [muss]”. Der Widerstand gegen Wahlcomputer kam aber nicht aus Politik oder Fachbehörden, sondern zuerst von Informatikerinnen, besonders aus dem Chaos Computer Club. Unsere Gesellschaft braucht diese Menschen, die ihren Bürgersinn mit technischem Wissen vereinen.

Deshalb brauchen wir ein Schulfach Informatik. Es muss mit qualifizierten Lehrkräften, einem sorgfältig geschriebenen Bildungsplan, ausreichend Zeit im Stundenplan und einer Zeile im Zeugnis ausgestattet werden. Seine wichtigste Aufgabe muss die Entmystifizierung der digitalen Welt sein, so wie Biologie, Physik und Chemie jeweils einen Teil unserer Welt entzaubern. Auch dort erleben Kinder mit ihrem eigenen Denken, dass die Natur erklärbar und verstehbar ist. Diese Erfahrung bleibt ihnen erhalten, auch wenn sie Impulserhaltung und Zellteilung wieder vergessen.

Diese Entmystifizierung müssen die Schüler wirklich erleben: Wie kann etwas dermaßen Komplexes nur aus Nullen und Einsen bestehen? Wie kann eine Nachricht so schnell in Übersee ankommen? Wie merkt sich Facebook alle meine Daten? Viele Schüler wollen programmieren lernen, was äußerst motivierende Erfolgserlebnisse ermöglicht. Aber Informatikunterricht umfasst auch Datenbanken, Netzwerke, Kryptografie und vieles mehr.

Beherrschen statt Bedienen

Leider läuft es an Schulen bisher oft umgekehrt: “Computer kann man nicht verstehen”, ist die unausgesprochene Botschaft der meisten fachfremden Lehrkräfte, unmissverständlich ergänzt durch: “… muss man aber auch nicht.” Das kann man ihnen nicht vorwerfen, denn diese Lehrer hatten selbst nie Zugang zu informatischer Bildung. Verstehen ist aber das vorrangige Bildungsziel, das deshalb nur im einem eigenständigen Fach erreicht werden kann. Das Erlebnis, Computer zu beherrschen statt nur zu bedienen, steht als kognitive Grunderfahrung auf einer Stufe steht mit dem Erwerb einer Fremdsprache, dem Kennenlernen der Naturgesetze, dem Erlernen einer Sportart oder der ersten Wahrnehmung politischer Teilhabe.

Neben der digitalen Mündigkeit sprechen auch die Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt für ein Pflichtfach. Im Jahr 2040 werden Berufe wie Bankberater oder Taxifahrer verschwunden sein. Auch höchst anspruchsvolle Tätigkeiten wie die von Radiologen lassen sich bald automatisieren. IT-Fachkräfte hingegen werden verzweifelt gesucht. In Deutschland fehlen Hunderttausende Informatiker. Der Mangel hemmt das Wachstum ganzer Branchen und stellt Deutschland als Innovationsstandort in Frage. Jugendliche in entsprechenden Ausbildungsgängen haben oft falsche Erwartungen wie Spieleentwicklung oder Webdesign, die dann Enttäuschungen und Studienabbrüche produzieren. Dabei stehen ihnen in keiner anderen Branche so zukunftssichere, interessante und gut bezahlte Jobs offen. Sie sollten daher ein halbwegs treffendes Bild von der Informatik haben.

Informatikunterricht ist nicht Konsum

Zugegeben: Ein neues Fach ist ein politischer und organisatorischer Kraftakt und ein undankbarer dazu. Selbst wenn etwa Baden-Württemberg so schnell wie möglich (etwa 2021/22) ein vollwertiges Fach Informatik ab Klasse fünf einrichtet, macht der erste Jahrgang 2027 Realschulabschluss oder 2029 Abitur. Den Arbeitsmarkt erreicht er frühestens 2032. Es darf nicht länger abgewartet werden.

Ein weiteres Gegenargument lautet: Der Medienkonsum vieler Jugendlicher sei ohnehin zu hoch. Jetzt auch noch in der Schule? Muss das sein? Aber das ist ein Missverständnis. Informatikunterricht ist nicht Konsum, sondern fördert vielmehr die intellektuelle, oft auch äußerst kreative Beschäftigung mit der Materie.

Es ist zu begrüßen, dass unsere Bildungssysteme nicht jedem Trend nachlaufen. Aber 2018 gibt es beim besten Willen keine Ausrede mehr: Informatik ist keine Modeerscheinung, sondern die Strukturwissenschaft des 21. Jahrhunderts schlechthin. Kosten, Personalmangel, uralter Fächerproporz – nichts davon rechtfertigt das endlose Zuwarten. Zwar gibt es Fortschritte in einzelnen Bundesländern (etwa Bayern und Sachsen), Informatik muss aber überall und an allen Schularten gelehrt werden, von fachlich erstklassig ausgebildeten Kräften und für alle Schüler verpflichtend. Für die Mädchen muss das Fach früh einsetzen, damit sie noch vor der Pubertät den Einstieg finden. Ein Umfang von durchgängig einer Jahreswochenstunde in der fünften bis zehnten Klasse erscheint sinnvoll und realistisch; mittelfristig muss schon der Sachunterricht der Grundschule erste Impulse geben. Nur so kann die Schule auch im 21. Jahrhundert ihrem Allgemeinbildungsauftrag gerecht werden.

Urs Lautebach ist zweiter Sprecher der Informatiklehrerinnen und -lehrer Baden-Württemberg in der Gesellschaft für Informatik.

Source : http://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2018-02/digitalisierung-informatikunterricht-schulen-bildung

Männer und Frauen sind eben unterschiedlich

Männer und Frauen sind eben unterschiedlich

 
Ein Google-Mitarbeiter hat seinen Job verloren, weil er über unterschiedliche Interessen von Männern und Frauen gesprochen hatte. Das aber ist kein Sexismus.

VON JOCHEN BITTNER

Der norwegische Soziologe und TV-Komiker Harald Eia hat vor einigen Jahren etwas sagenhaft Mutiges getan. Er ging zunächst in die Teeküche für das Pflegepersonal auf einem Krankenhausflur und fragte, warum dort so wenige Männer arbeiteten.

Als Nächstes besuchte er die Kantine eines Ingenieurbetriebs und fragte, wieso dort so wenige Frauen säßen. In Norwegen!, wunderte sich Eia. Im freiheitlichsten, gleichesten, fortschrittlichsten Land der Welt segregieren sich die Geschlechter nach Jobs – offenbar freiwillig.

Naja, antworteten ihm die Krankenpflegerinnen, Männer interessierten sich halt eher für Technik, Maschinen, solche Dinge. Ja nun, sagten die Ingenieure, Frauen fänden es wohl spannender, mit Menschen zu arbeiten.

Ein Glück, dass diese Leute nicht bei Google angestellt gewesen sind. Ansonsten hätten sie sich nach diesen Äußerungen einen neuen Job suchen müssen – der Ideologie des Google-Chefs Sundar Pichai folgend die Frauen am besten als Automechanikerinnen, die Männer am liebsten als Kindergärtner. 

Was ist passiert? Ein mittlerweile Ex-Mitarbeiter von Google, James Damore, hat vor wenigen Tagen etwas ähnlich sagenhaft Mutiges getan wie Harald Eia. Er hatte behauptet, es gebe genetische Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die sich – immer im Durchschnitt und pauschal betrachtet – in unterschiedlichen Interessen äußerten. Um zu erklären, warum 80 Prozent der Angestellten in Googles Techniksparte Männer sind, verwies Damore auf eine Reihe von Studien, laut denen – kurz gesagt – Männer interessierter an Dingen sind und Frauen interessierter an Leuten.

Wissenschaftliche Fakten interessieren nicht

Wissenschaftliche Fakten interessierten aber weder den Google-Chef noch viele Journalistinnen und Journalisten, die über das vermeintlich skandalöse Memo Damores berichteten. “Zu behaupten, dass eine Gruppe unserer Kollegen Eigenschaften haben, die sie biologisch weniger geeignet machen, diese Arbeit zu verrichten, ist beleidigend und nicht ok”, schrieb Google-Chef Pichai in seiner Kündigungsbegründung. Auch Autorinnen auf ZEIT ONLINE und Spiegel Online unterstellten Damore flugs, ein Sexist zu sein.

Nun hatte Dalmore aber gar nicht bestritten, dass es Programmiererinnen geben kann und gibt, die genauso gute oder bessere Arbeit leisten als Programmierer. Er sagte nur, dass es deutlich weniger Programmiererinnen als Programmierer gibt und dass dies etwas mit dem unterschiedlichen Aufbau von männlichen und weiblichen Gehirnen zu tun haben könnte.

Natürlich ist Sexismus ein Problem (Damore weist in seinem Memo ausdrücklich darauf hin), wahrscheinlich sogar bei Google. Aber was hat das eine, die Reduzierung von Frauen auf Stereotype, mit dem anderen zu tun, den Ergebnissen von neuro- und evolutionswissenschaftlicher Forschung? 

Harald Eia, der unerschrockene norwegische Fragesteller, interviewt als nächstes Genderforscher, die ihm sagen, das Interesse von Mädchen an Puppen und das Interesse von Jungen an Autos sei auf soziale Prägung zurückzuführen, dieser Unterschied habe nichts mit der Gehirnstruktur zu tun. Zwar gebe es Wissenschaftler in den USA, die dies anders sähen, aber die seien nicht ernst zu nehmen.

Auch Säuglinge ohne soziale Prägung haben geschlechtsspezifische Interessen

Eia fliegt trotzdem hin, interviewt diese seltsamen, angeblich altmodischen Wissenschaftler, und ihre Forschungsergebnisse beeindrucken ihn. Sie haben unter anderem festgestellt, dass Säuglinge, die noch keine nennenswerte soziale Prägung erfahren haben, auf unterschiedliche Symbole unterschiedlich intensiv reagieren; Mädchen eher auf Gesichter, Jungen eher auf geometrische Formen. Evolutionswissenschaftler sagen Eia außerdem, dass es für die Fortpflanzung einer Art vorteilhaft sei, wenn Frauen, weil sie den Nachwuchs gebären und stillen, diese Aufgabe als etwas Erfreuliches empfänden. Die Evolution habe deshalb dafür gesorgt, dass Frauen typischerweise zu mehr sozialer Empathie und Geselligkeit neigten.

Der New York Times-Journalist David Brooks, der sich lange mit Verhaltensforschung und Fragen zur Charakterbildung beschäftigt hat, kommt zu dem Schluss, dass im Streit um genetische oder soziale Prägung die Evolutionsbiologen den Sieg davongetragen haben.

Eine politische interessante Frage, die sich aus diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen ableiten ließe, wäre: Wenn es stimmt, dass genetische Prägungen stark mit dafür verantwortlich sind, dass Frauen eher Berufe wählen, die im Schnitt schlechter bezahlt sind, als die Berufe, die eher Männer wählen, müsste eine faire und aufgeklärte Gesellschaft diese biologisch bedingten Präferenzen dann nicht finanziell ausgleichen?

Stattdessen könnte ich mich als Mann natürlich über die Behauptung ereifern, dass mein Geschlecht weniger empathisch und gesellig sein soll als das weibliche – wie sexistisch, beleidigend und nicht ok! Aber das wäre ziemlich albern. Ich denke eher: Schön, dass wir die Ursachen für gewisse Unterschiede kennen, ganz gut sogar, dass Männer und Frauen genetisch unterschiedlich geprägt sind – und noch besser, dass als Individuum trotzdem jeder den Anspruch hat, als eben solches behandelt zu werden, sprich: genau wahrgenommen zu werden, mit allen Interessen, Talenten und Argumenten (!), bevor man über ihn oder sie urteilt. Oder, Kolleginnen und Kollegen?

Wohin mit den Essensresten?

Wohin mit den Essensresten?

Unsere Konsumgesellschaft wirft zu viel Essen weg. Es gibt Initiativen gegen die Verschwendung

Entlang der globalen Wertschöpfungskette gehen mindestens 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel verloren. Das sind 30 bis 40 Prozent, umgerechnet sind das 180 bis 190 kg pro Kopf und Jahr, rechnet eine Studie des WWF Deutschland von 2015 vor.

Allein in Deutschland landen mehr als 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel jährlich im Müll. Das entspricht etwa einem Drittel des aktuellen Nahrungsmittelverbrauchs, der liegt laut WWF bei 54,5 Millionen Tonnen. Mehr als die Hälfte davon, nämlich zehn Millionen Tonnen, hätte man gar nicht wegwerfen müssen.

Demnach werden diese Nahrungsmittel unter hohem Arbeits- und Ressourcenaufwand hergestellt, bevor sie entlang der Wertschöpfungskette bis hin zum End-Konsumenten verloren gehen. Brot und Backwaren machen dabei einen Anteil von knapp zwei Millionen Tonnen aus, Obst und Gemüse jeweils 1,5 Millionen Tonnen, außerdem eine Millionen Tonnen Kartoffel- und Milcherzeugnisse.

Deutsche Endverbraucher verursachen fünf von rund zehn Millionen Tonnen vermeidbaren Lebensmittelabfällen. Aber auch die Großverbraucher im Einzel- und Großhandel produzieren rund fünf Millionen Tonnen für den Müll. Während die Ursachen in den so genannten Entwicklungsländern vor allem bei fehlender Infrastruktur für Ernte, Transport und Lagerung liegen, werden Lebensmittel in den Industrieländern eher am Ende der Wertschöpfungskette zu Abfall, oft auch nur deshalb, weil sie den Normgrößen oder der Ästhetik nicht entsprechen.

Negative Effekte für Klima und Menschen

Von derzeit 7,32 Milliarden Menschen weltweit hungern rund eine Milliarde und das, obwohl wir heute schon Lebensmittel für 12 Milliarden Menschen produzieren. Menschen in der südlichen Hemisphäre verzichten auf Essen, weil es in reiche Industrieländer exportiert wird oder weil auf den wenigen fruchtbaren Ackerböden Futterpflanzen für europäische Nutztiere angebaut werden.

Liegen die Importprodukte in europäischen Supermärkten zu lange in den Regalen, wandern sie in die Müllcontainer. Vereinfacht gesagt: Für unseren Überfluss müssen andere hungern. Damit ist die alltägliche Lebensmittelverschwendung eines der ungelösten Probleme des globalisierten Kapitalismus.

Doch Nahrung, die umsonst produziert wird, setzt enorme Mengen an Treibhausgasen frei. So rechnete oben erwähnte Studie den Klimafußabdruck für zehn Millionen Tonnen produzierter Lebensmittel auf rund 22 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente um. Mit eingerechnet sind die Treibhausgase, die bei der Düngung, beim Transport, bei der Lagerung, Kühlung und Weiterverarbeitung bis hin zur Entsorgung entstehen.

Sie verursachen global gesehen einen Flächenfußabdruck von 2,6 Millionen Hektar. Außerdem setzen natürliche Habitate, werden sie zu Ackerland umgebrochen, erhebliche Mengen an Kohlendioxid frei. Würden die Lebensmittel, die später in der Tonne landen, gar nicht erst produziert, ließen sich 26 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen.

Der Müllforscher Timothy Jones, der in der Doku Taste the waste von Valentin Thurn zu Wort kommt, untersuchte die Auswirkungen von Essensmüll auf riesigen Deponien in Nordamerika. Tief verborgen unter anderem Müll zersetzen Bakterien die organische Masse. Dabei produzieren sie Methan, welches in die Atmosphäre gelangt und hier als Treibhausgas 23 Mal stärker wirkt als Kohlendioxid. Somit hat allein der Lebensmittelmüll einen Anteil von 15 Prozent an den globalen Methan-Emissionen.

Krummes Gemüse ist essbar

Alles, was nicht den Normen des Handels entspricht, wird aussortiert – oft bereits auf dem Acker, im besten Fall noch an Tiere verfüttert. Meist endet es im Kompost, im Müll, oder auch schon mal – wie bei Brot mit seinem hohen Heizwert – im Ofen. Weil es zu krumm, unförmig, zu klein oder zu groß ist, schaffen es 30 bis 40 Prozent der Gemüse-Ernten nicht in den Handel. Das betrifft auch Bio-Gemüse.

Dabei sind Kartoffeln mit sonderbarem Aussehen, leichten Druckstellen oder Verfärbungen genauso essbar wie “normale” Kartoffeln. Oft seien die Fehler am Gemüse gar nicht sofort zu sehen, erklärt Jungunternehmer Georg Lindermair. Das veranlasste ihn dazu, im Frühjahr 2014 mit Freunden in München ein kleines Unternehmen zu gründen: Gemüsekisten werden mit aussortiertem Bio-Gemüse direkt vom Acker aus dem Münchner Umland befüllt und versendet. Beigefügt sind Rezeptideen zum Kochen, zum Beispiel mit Rettich und Pastinaken.

Ausschließlich aussortierte Lebensmittel werden auch in dem Kölner Laden The good food angeboten. Die Gründerin Nicole Klaski und ihr Team holen im Kölner Umland all jenes Gemüse von den Bio-Äckern, das der Handel ablehnt: frische Gurken, Tomaten oder Rote Beete. Wenn zu viel Salat gewachsen ist, wird er direkt vom Feld geerntet.

Auch Backwaren vom Vortag, Bier in Flaschen – oder Brotaufstriche in Gläsern – gespendet von Einzelhändlern finden im Laden ihre Abnehmer. Bei allen Produkten ist das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten. Die Kunden zahlen nach Selbsteinschätzung. So profitieren auch Menschen mit geringem Budget, während andere großzügig spenden.

Schnippeldisko und Foodsharing

In der Schnippeldisko – eine Initiative der Slowfood-Bewegung – wird nur mit Lebensmitteln gekocht, die übrig sind. Dem Slow Food Youth Netzwerk gehören bundesweit zahlreiche Gruppen an. Die Aktivisten fahren auf einen Hof, sammeln krummes aussortiertes Gemüse ein und verarbeiten es bei Disko-Musik. Die Lebensmittel müssen “gut, sauber und fair” sein, so die Philosophie. Demnach erhalten die Erzeuger eine faire Entlohnung für ihre Produkte und Arbeit. Die Idee der Schnippeldisko hat sich über Europa hinaus bis hin nach Südkorea verbreitet.

Auch Foodsharing rettet Essen vor dem Müll. Gegründet wurde das Netzwerk 2013 von Filmemacher Valentin Thurn und Lebensmittelretter Raphael Fellmer. Und das funktioniert so: Wer Lebensmittel übrig hat, legt diese in einen digitalen Essenskorb Die Standorte mit Adresse sind auf einer Karte im Netz eingetragen.

So genannte Fair-Teiler verteilen übrig gebliebene Lebensmittel, Foodsaver holen Lebensmittel von kooperierenden Betrieben ab. Sie behalten so viel ein, wie sie selber brauchen, der Rest wird auf der Website angeboten bzw. an Tafeln, Suppenkuchen oder andere gemeinnützigen Vereine verteilt. So spart ein Betrieb nicht nur Entsorgungskosten, sondern übt verantwortungsvollen Umgang mit Essen.

Der Erfolg misst sich an der wachsenden Beteiligung: 3.100 Kooperationspartner und 24.000 Freiwillige in Deutschland, Österreich und der Schweiz holen in täglich mehr als tausend Betrieben Lebensmittel ab. Auf diese Weise wurden 7,5 Millionen Kilogramm Lebensmittel gerettet – 7500 Tonnen, die andernfalls im Müll gelandet wären.

Mülltaucher am Rande des Konsums

Landauf, landab begegnen die Betreiber von Supermärkten einem relativ neuen Phänomen mit Ratlosigkeit: Menschen betreten in der Abenddämmerung Supermarkt-Gelände und holen verpackte, genießbare Lebensmittel aus den Containern. Manchmal werden diese “Mülltaucher” verklagt – wie zum Beispiel im Januar 2014 in einer nordhessischen Kleinstadt – weil sie fremdes Grundstück betreten und fremdes Eigentum stehlen.

Damals wurden Studenten verdächtigt, Lebensmittel aus der Mülltonne einer Tegut-Filiale gestohlen zu haben. Dafür mussten sie sich vor Gericht verantworten. Interessanterweise argumentierte der Richter, mit dem Wegwerfen der Lebensmittel sei das Eigentum daran aufgegeben. Vor dem Gesetz gilt der Entsorger eigentlich solange als Eigentümer, bis sein Müll abgeholt wird.

“Wären Supermärkte wirklich an den Bedürfnissen von Menschen interessiert”, erklärte eine Studentin, “würden diese ihre überflüssigen Lebensmittel allen Menschen zur Verfügung stellen”. Freigesprochen wurden sie nur deshalb, weil die Herkunft der im Auto gefundenen Lebensmittel nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte.

Tatsächlich spenden viele Supermärkte abgelaufene Lebensmittel an die Tafeln, deren Anzahl in Deutschland stetig wächst. Denn: immer mehr Menschen haben immer weniger Geld, um sich genügend zu essen zu kaufen. Aussortiertes Essen kommt dann wenigstens dorthin, wo es gebraucht wird. Das mildert die Symptome der Armut, ihre Ursachen beseitigt es nicht.

Politik und Eigeninitiative gefragt

Wie reagiert die Politik auf das Verschwendungsproblem? Der französische Senat verabschiedete vor gut einem Jahr ein Gesetz, das das Wegwerfen von Lebensmitteln eindämmen soll. So sind Supermärkte ab 400 Quadratmetern Verkaufsfläche dazu verpflichtet, unverkaufte Waren billiger abzugeben. Außerdem müssen sie Abnahmeverträge mit gemeinnützigen Organisationen für restliche, zum Verzehr geeignete Lebensmittel abschließen. Immerhin.

Von Seiten der deutschen Regierung gab es bisher über die Erfassung von Daten hinaus kaum ernsthafte Versuche, der Verschwendung einen Riegel vorzuschieben. Noch fehlen gesetzliche Regelungen zum sinnvollen Umgang mit übrig gebliebenen Lebensmitteln in Supermärkten. Initiativen wie das Aktionsbündnis Aktion Agrar, BUNDJugend, Foodsharing und Slow Food Youth fordern einen Wegwerfstopp für Lebensmittel auch in Deutschland.

Stattdessen ermahnt das Umweltbundesamt die Verbraucher, die Vorräte zu sichten und planvoll einzukaufen. Wie man Lebensmittelreste zu Hause am besten vermeidet, weiß auch das Bundesministerium für Landwirtschaft.

Essensabfälle zu Hause zu vermeiden, ist schon aus Geldgründen sinnvoll. Denn wer weniger wegwirft, muss weniger einkaufen. Auch im Hinblick auf krummes Gemüse kann das eigene Einkaufsverhalten den Markt beeinflussen: Wer anstatt zu in Plastik verpackter, zu loser Ware greift, kann sich Größe, Gewicht und Form selber aussuchen. Besitzer von Smartphones können seit kurzem mittels einer App herausfinden, in welchen Geschäften und Restaurants in ihrem Wohnort Lebensmittel übrig sind. Diese können sie dann dort preiswert abholen.

Filmtipps:

Taste the waste (2014)

Die Essensretter (2016)

von : Susanne Aigner

unter : Telepolis / Wirtschaft / Wohin mit den Essensresten?

Buchempfehlung

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Trump ist nicht aus dem Pariser Abkommen ausgetreten, die USA waren nie dabei

Trump ist nicht aus dem Pariser Abkommen ausgetreten, die USA waren nie dabei

Wohlwissend, dass der Kongress nicht zustimmen würde, war Obama nur durch einen Präsidentenerlass dem Abkommen beigetreten, ratifizieren müsste es aber der Kongress

Telepolis hat wie andere Medien – beispielsweise die ARD: “Trump kündigt Pariser Vertrag” – berichtet, dass US-Präsident Trump aus dem Klimavertrag aussteigt (Trump kann gar nicht aussteigen, USA steigen aus dem Pariser Klima-Abkommen aus – vorerst). Die USA war allerdings dem Pariser Abkommen nie wirklich beigetreten.

Ratifiziert haben die USA im Gegensatz zu anderen Staaten das Abkommen nämlich nicht. Ex-Präsident Barack Obama hatte nur einmal wieder zu der Maßnahme gegriffen, eine Entscheidung mit einer executive order durchzusetzen. Die aber ist nur temporär, verbindlich ratifizieren können die USA das Abkommen nur mit einem Kongressbeschluss – und der liegt nicht vor, Obama wusste auch, dass er ihn nicht erhalten hätte, da viele Republikaner den Klimawandel als Behauptung einer “Fake Science” betrachten.

In der Washington Post hat dies Eugene Kontorovich, Professor für Verfassungs- und Internationales Recht, in einem Beitrag kurz vor der erwartbaren Entscheidung Trumps ausgeführt, der allerdings gegen Donald Trump gerichtet war. Die USA können nicht aussteigen, weil sie eben dem Vertrag gar nicht beigetreten waren. Die Zeitung will damit den Schritt, den Trump zelebrierte und der durch die ganze Welt vibrierte, eher klein reden, gesteht aber Trump damit die Möglichkeit zu, den Ratifizierungsprozess nicht fortzusetzen, den Obama übergehen wollte, um ein symbolisches Zeichen zu setzen.

Es gebe zwar Verträge oder Abkommen, die der Präsident ohne Einwilligung des Kongresses verbindlichen abschließen könne. Auch wenn diese “sole executive agreements” (SOE) umstritten seien, wäre das Pariser Abkommen kaum als solches zu begreifen. Hingewiesen wird darauf, dass ein Austritt erst vier Jahre nach der Ankündigung, aussteigen zu wollen, erfolgen kann. Die lange Kündigungszeit sei nicht nur ungewöhnlich, sondern würde der Konzeption von SOEs widersprechen.

Sie dienen dazu schnell formale Abkommen zwischen Staaten einzugehen, der Präsident habe aber auch die Möglichkeit, sie wieder aufzukündigen. Bei der langen Kündigungszeit könnte ein Präsident den Entscheidungsraum seines Nachfolgers binden. Möglicherweise, so die Zeitung, sei die vier Jahre lange Kündigungsfrist mit Blick auf Trump vereinbart worden, um ihn so zu hindern, wieder auszutreten, zumal er damit internationale Verbindlichkeiten verletzen würde. Aber solche Verbindlichkeiten könnten eben nur über den Kongress erfolgen, weswegen Obamas Abkommen “ziemlich unüblich” gewesen sei.

Jetzt könnten aber die Unterzeichnerstaaten sich nicht über Trump beklagen, wenn der sich darauf beruft, dass die Ratifizierung des Abkommens vom Kongress vorgenommen werden muss, so hätten sie dies auch gemacht: “Der wirkliche Exzeptionalismus wäre nicht Trumps Aktion, sondern die von Obama, die Ratifikation nicht anzustreben.” Kein anderer Staat habe so wie die USA unter Obama gehandelt, sondern alle haben den normalen Gesetzgebungsprozess für einen bindenden Vertrag beschritten.

Trump hat angekündigt, noch einmal zu verhandeln, um dann zu entscheiden, dem Abkommen beizutreten oder nicht. Trump halte an der transatlantischen Partnerschaft und am Schutz der Umwelt fest, hieß es aus dem Weißen Haus. In einer gemeinsamen Erklärung Deutschlands, Frankreichs und Italiens wurde jedoch Trump der Kampf angesagt. Das Abkommen sei irreversibel und könne nicht mehr neu verhandelt werden.

Autor : Florian Rötzer

Source : https://www.heise.de/tp/features/Trump-ist-nicht-aus-dem-Pariser-Abkommen-ausgetreten-die-USA-waren-nie-dabei-3733617.html

Neue Energie, neue Jobs, neue Mobilität

Neue Energie, neue Jobs, neue Mobilität

Durch den Umstieg auf Öko-Energien entstehen weit mehr Jobs, als bei den alten Energieträgern verloren gehen

Weltweit sind inzwischen knapp zehn Millionen Menschen in den Branchen der erneuerbaren Energien beschäftigt – allein in der Solarbranche 3.1 Millionen, so eine neue Studie der International Renewable Energy Agency (IRENA).

“IRENA” ist sinnigerweise der griechische Name für “Frieden”. Jede Solaranlage, jedes Windrad, jede Biogasanlage und jedes Wasserkraftwerk ist ein Zeichen des Friedens. Durch erneuerbare Energie wird die Natur geschützt und geschont anstatt zerstört wie durch fossil-atomare Energieträger. Um Öl wurden viele Kriege geführt.

Die Alternative heißt: Frieden durch die Sonne. Um die Sonne oder auch um den Wind können grundsätzlich keine Kriege geführt werden. Und Millionen neue Arbeitsplätze durch erneuerbare Energien dienen auch dem sozialen Frieden.

Dass durch die Energiewende viele neue Jobs entstehen, war absehbar. Aber noch immer wird von den Lobbyisten der alten Energiewirtschaft behauptet, die Energiewende zerstöre Arbeitsplätze. Jetzt kann IRENA nachweisen, dass durch den Umstieg auf Öko-Energien weit mehr Jobs entstehen, als bei den alten Energieträgern verloren gehen.

Die Vorurteile gegenüber erneuerbaren Energien haben vor allem in Deutschland zu absurden politischen Entscheidungen geführt – hauptsächlich durch die früheren Wirtschaftsminister Philipp Rösler und Sigmar Gabriel. Um 20.000 Arbeitsplätze in der alten Kohlewirtschaft zu retten, haben sie 70.000 Arbeitsplätze in der Zukunftsbranche Solarenergie zerstört. Diese sind inzwischen nach China abgewandert.

Seit 2012 sind weltweit die Jobs bei den erneuerbaren Energien von 6.9 Millionen auf 9.8 Millionen angestiegen. IRENA erwartet, dass bis 2030 über 24 Millionen Menschen in den Branchen er Erneuerbaren beschäftigt sind.

Die meisten Jobs durch Erneuerbare gibt es in China, gefolgt von den USA, Indien, Japan und Deutschland. Noch vor acht Jahren war Deutschland vorne.

Geradezu sensationell entwickeln sich die Erneuerbaren Energien in den USA. Dort setzt Präsident Trump bekanntlich auf die Kohle. Doch die Solarbranche erlebt einen Boom: Die US-Solarwirtschaft ist in den letzten 12 Monaten 17 mal schneller gewachsen als die Gesamtwirtschaft und hat jetzt 260.000 neue Jobs geschaffen.

Vielleicht geht bei dieser Entwicklung sogar Donald Trump noch ein Licht auf und er bleibt mit seinem Land beim Pariser Klimaschutzabkommen. Dies zu beweisen, hat er in den nächsten Wochen Gelegenheit.

IRENA kommt zum hoffnungsvollen Schluss, dass sich die erneuerbaren Energien in naher Zukunft zu einem Motor der Weltwirtschaft entwickeln werden. Die E-Mobilität wird diese Entwicklung noch verstärken. (Franz Alt)

Source : https://www.heise.de/tp/features/Neue-Energie-neue-Jobs-neue-Mobilitaet-3725660.html