Source : http://www.zeit.de/politik/deutschland/2009-09/online-wahlkampf

Die bevorstehende Bundestagswahl wird noch nicht im Internet entschieden. Online-Kompetenz ist für Politiker trotzdem unverzichtbar.

von Wolfgang Blau

Man könnte dem Irrtum verfallen, die Kanzlerin sei eine Pionierin des Online-Wahlkampfes. Seit drei Jahren bietet Angela Merkel einen wöchentlichen Videopodcast zum Download an. Merkel hat damit schon zu einem Zeitpunkt im Internet experimentiert, als Barack Obama, Idol vieler Online-Wahlkämpfer, noch nicht einmal seine Kandidatur bekannt gegeben hatte. Mit ihrem Podcast umgeht Merkel die traditionellen Massenmedien und kann eine unbegrenzte Zahl von Wählern direkt und ohne störende Zwischenfragen kritischer Journalisten ansprechen. So weit die Theorie. In Wahrheit ist der Podcast der Kanzlerin zum Einschlafen präsidial und alles, aber nicht wahlentscheidend.

Nicht nur Merkel, auch ihre Rivalen tun sich schwer mit dem Online-Wahlkampf. Vergleicht man die Zahl der Anhänger und „Friends“, die sich in Deutschlands größten sozialen Netzwerken Facebook und StudiVZ um die Spitzenkandidaten versammeln, steht Merkel sogar noch am besten da. Auf StudiVZ, das wie DIE ZEIT zur Holtzbrinck-Gruppe gehört, hat die Kanzlerin derzeit rund 69.000 Anhänger, Frank-Walter Steinmeier nur etwa 18.000. Auf Facebook führt die Kanzlerin mit 16.200 „Friends“ vor Steinmeier, der dort nur etwa 5900 „Friends“ hat. Barack Obamas Facebook-Seite ist dagegen schon ein Massenmedium. Der Präsident erreicht dort mehr als sechseinhalb Millionen Menschen.

Es ist dieser ständige Vergleich mit Obamas glänzender Online-Strategie, der bleiern auf den Netzkampagnen deutscher Parteien lastet. Ein Vergleich, der nicht gerecht ist. Amerikanische und deutsche Wahlkämpfe verlaufen denkbar unterschiedlich. Der letzte Präsidentschaftswahlkampf war der teuerste aller Zeiten und kostete mindestens 2,4 Milliarden Dollar. Um gegen die Sponsorennetzwerke der Clintons und John McCains antreten zu können, musste Obama in kurzer Zeit ein Online-Netzwerk knüpfen, das ihn mit kleinen, aber regelmäßigen Spenden unterstützen würde. Am Ende sammelte er über 600 Millionen Dollar ein. Deutsche Wahlkämpfe sind weniger kostspielig.

Amerikanische Präsidentschaftskandidaten müssen ihre Anhänger auch nicht nur am Wahltag zur Stimmabgabe motivieren, sondern schon vorher zur Registrierung in den Wählerverzeichnissen und zur Teilnahme an den Vorwahlen. Dabei sind amerikanische Parteien längst nicht so engmaschig in Ortsvereinen organisiert wie die deutschen. Im riesigen Flächenstaat USA sind Politiker deshalb nicht nur beim Spendensammeln, sondern auch bei der Mobilisierung ihrer Wähler stärker auf das Internet angewiesen als in Deutschland.

Die beste Online-Strategie hilft auch nichts, wenn der Kandidat kein mediales Talent hat. Wenn Barack Obama zwischen zwei Terminen noch kurz Basketball spielt und die Fotos davon später ins Netz wandern, dann ist das cool. Wenn Frank-Walter Steinmeier in seinen Online-Videos erzählt, er sei eher ein Stones-Typ als ein Beatles-Typ, wirkt er nicht cool, sondern gekünstelt. Das ist nicht fair, aber Online-Wahlkämpfe nützen eher dem Politiker-Typus des Direktkandidaten. Er oder sie muss nicht gut aussehen, aber in jedem Fall sehr gut kommunizieren und nahbar wirken. Ein deutscher Listenplatz-Politiker wie Steinmeier, der nicht mit Rhetorik, sondern mit Geduld, Loyalität und Sachverstand nach oben kam, hat es in einem Online-Wahlkampf ungleich schwerer.

Fast alle Elemente deutscher Wahlkämpfe, ihre Finanzierung, ihre Wählermobilisierung, ihr Prozess der Meinungsbildung und der Ausleseprozess ihres politischen Personals folgen anderen Regeln als in den USA. Entsprechend andersartig werden sich auch deutsche Online-Wahlkämpfe entwickeln müssen.

Wer deshalb aber glaubt, das Internet habe in Deutschland eine geringere Bedeutung als in den USA, macht einen Fehler. Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen nutzt bereits ein Drittel der Deutschen das Netz, um sich politisch zu informieren. Auffällig ist auch, dass Spitzenpolitiker in Deutschland und in den USA bei Online-Diskussionen regelmäßig zu netzpolitischen Themen Stellung beziehen müssen, die in den traditionellen Medien noch kaum behandelt werden, etwa zur Zukunft der Netzneutralität. Auf der Online-Plattform „Erst Fragen, dann wählen“, einem gemeinsamen Projekt von ZEIT ONLINE, ZDF und StudiVZ, bei dem Online-Nutzer Fragen an Spitzenkandidaten des Bundestagswahlkampfes stellen können, rangiert beispielsweise nicht das Thema Studiengebühren auf Platz eins der populären Fragen, sondern der Streit um die Netzsperren. Im StudiVZ-Ranking der populärsten Parteien führt sogar die Piratenpartei mit rund 66.000 Anhängern, gefolgt von der CDU mit nur etwa 23.000 Anhängern. Noch sind netzpolitische Themen nicht wahlentscheidend. Politiker und auch Journalisten sollten die wachsende Macht der Netzöffentlichkeit aber nicht mehr unterschätzen.