Recht auf Reparatur

Recht auf Reparatur

Immerzu brauchen wir neue Kabel, Stecker und Handys, weil sie sich nicht reparieren lassen. Schafft es Europa, eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft zu werden?

Wie viele Kabel haben Sie in Ihrem Leben schon gekauft? Bei mir waren es viele. Das eine verschwand, das nächste ging kaputt und das übernächste flog weg, weil es für das neue Gerät nicht mehr zu gebrauchen war. Die einzige sichere Konstante durch all die Jahre war nämlich: Neues Handy – neues Kabel. (Manchmal auch neues Handy – neuer Kopfhörersteckeranschluss. Oder neuer Laptop – neuer Stecker.) Die Verbindung meiner Kommunikationsgeräte mit der Steckdose hat mich jedenfalls eine Menge Euros gekostet.

Ginge es dabei nur um mich und meine Schlampigkeit, wäre die Sache irrelevant. Aber pro Sekunde gehen in der EU etwa sieben Handys über die Ladentheke. Millionen Meter Ladekabel kommen dazu. Man stelle sich die Kabel mal als Müllberg vor – und lege noch die Handys obendrauf, die weggeworfen werden, weil die Hersteller die Reparatur schwer oder unmöglich gemacht haben. Und dann noch all die anderen elektrischen Geräte. 12 Millionen Tonnen Elektroschrott kommen in Europa jedes Jahr zusammen. Die Ressourcenverschwendung ist also riesig, unnötig und ein politischer Skandal – jedenfalls in Zeiten, in denen alle über die Übernutzung der Erde klagen.

Tatsächlich ist das Problem schon länger bekannt. Bereits 2009 hatte die EU-Kommission angekündigt, wenigstens für die Handys einen Generalstecker durchsetzen zu wollen. Sie ließ sich dann auf einen Deal mit den Herstellern ein. Das Ergebnis kann man heute in jedem Elektroladen sehen. Vor allem Apple produziert auch 2020 weiter, was es will: immer mal wieder neue Anschlüsse, Akkus, die alt werden und sich eigentlich nicht herausnehmen lassen. Das Signal an den Kunden ist deutlich: Reparieren unerwünscht!

Nun könnte man argumentieren: Wenn der Kunde es kauft, ist er selber schuld. Aber das ist dann so wie mit dem dicken SUV – natürlich ist der Käufer mitverantwortlich für die Verschwendung, wenn er entweder mehr PS oder immer das neueste Smartphone haben will. Aber die Betonung liegt auf “mit”. Auch der Hersteller, der die umweltverschmutzenden, müllproduzierenden Dinger bewirbt und keine Alternative anbietet, trägt Verantwortung. Und wenn er der nicht nachkommt, dann muss die Politik ran. Jedenfalls wenn sie ihr Versprechen einer intakten Umwelt ernst nimmt, das sie den Bürgern immer wieder gegeben hat.

Heute weint kaum noch jemand um die Glühbirne

Ein paar Mal hat die EU bereits eingegriffen. Trotz wilder Proteste hat sie das Verbot der energiefressenden Glühbirne durchgesetzt – und siehe da: Heute weint kaum noch jemand, denn es gibt einen wahren Boom aller möglicher (stromsparender) und extravaganter Leuchtmittel. Ähnliches lässt sich über andere “energieverbrauchsrelevante Produkte” sagen. Durch die sogenannte Ökodesignrichtlinie hat die EU dafür gesorgt, dass Staubsauger, Kühlschränke und Klimaanlagen heute weniger Strom brauchen.

Nur, Strom ist eben nur ein Teil des Problems der Produkte – und deswegen werden jetzt die Umwelt- und Verbrauchergruppen aktiv. Sie fordern in einer Petition die Reparierbarkeit von Smartphones europaweit zu erzwingen, etwa unter #longlivemyphone.

Die EU solle mit dem für Anfang März angekündigten Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft dafür sorgen, dass Geräte grundsätzlich reparierbar designed werden. “EU”, “Aktionsplan” – allein diese beiden Worte sorgen wahrscheinlich schon dafür, dass viele nun gähnen. Und tatsächlich ist die Gefahr groß, dass die Sache nur ein paar Technokraten interessiert. Doch das wäre falsch. Denn im Kern geht es bei dieser und bei vielen anderen kommenden Entscheidungen der EU immer um die eine große Frage: Wird allein Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weiter von einem Green Deal träumen – oder schafft Europa es, tatsächlich zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft zu werden?

Wenn es gut geht, werde ich mein Geld fürs Kino ausgeben und nicht fürs Kabel. Wenn die Sache schiefgeht, kommt die EU-Vorschrift für einheitliche Handy-Stecker zwar irgendwann. Aber erst dann, wenn die Geräte längst alle kabellos aufgeladen werden. Und ich mir statt eines neuen Kabels ein neues Ladegerät kaufen muss.

Autorin : PETRA PINZLER

Erschienen am 20.02.2020 in der ZEIT Kolumne FÜNF VOR 8:00