Weidetiere helfen, das Klima zu schützen

Weidetiere helfen, das Klima zu schützen

Grünland und Wiederkäuer gehen seit Jahrtausenden eine Symbiose ein. Weidegang für Nutztiere ist nicht nur artgerecht, er dient auch dem Klimaschutz

Rund ein Drittel der von Menschen gemachten Methan-Emissionen stammen aus der Gewinnung und Nutzung fossiler Brennstoffe, schätzen Wissenschaftler. Eine Studie an der University of Rochester vom Februar dieses Jahres korrigierte diesen Wert deutlich nach oben. Bisher seien die Methanemissionen aus fossilen Quellen um 25 bis 40 Prozent unterschätzt worden, wird darin behauptet.

Gelangt Methan in die Atmosphäre, zerfällt es innerhalb von nur zwölf Jahren, dafür ist es 25 Mal klimawirksamer als Kohlendioxid, heißt es. Auf natürliche Weise entsteht das farb- und geruchlose Gas in Sümpfen und Mooren. Darüber hinaus gilt auch der Reisanbau als Methanquelle.

In einer Studie von 2019 rätselten Wissenschaftler über den Anstieg von Methan in der Atmosphäre von 2014 bis 2017. Neben nasseren Feuchtgebieten machten die Autoren vor allem die Rinderhaltung dafür verantwortlich.

Kann es wirklich sein, dass Rinder durch ihren Methan-Ausstoß das Klima derart schädigen? Schließlich gibt es Rinderhaltung nicht erst seit 100 Jahren?

Ist die Kuh ein Klimakiller?

Noch vor wenigen Jahren scheuten Werbestrategen der Autokonzerne nicht davor zurück, das Rind mit dem Auto zu vergleichen: Die Emissionen einer Kuh seien für die Ozonschicht etwa “so schädlich wie ein Kleinwagen“, wurde behauptet.

Wie sich später herausstellte, lag dieser Annahme ein methodischer Rechenfehler zugrunde: Während die Emissionen aus der Auto-Herstellung vernachlässigt wurden, waren die Emissionen in der Tierhaltung von der Herstellung der Düngemittel bis zum Anbau der Futtermittel mit eingerechnet worden.

Eine Studie der Universität Wien von 2012 bedient sich ebenfalls des Auto-Vergleiches. Allerdings nimmt sie die gesamte Fleischproduktion unter die Lupe, wobei sie nach Produktionsweisen und Herkunftsländern differenziert. Demnach belastet ein Kilogramm Rindfleisch aus den Niederlanden mit 22 kg Kohlendioxid das Klima ähnlich hoch wie 111 Kilometer Autofahren. Rindfleisch aus Brasilien hingegen schlägt mit 335 kg Kohlendioxid zu Buche, was einer Fahrt über 1.600 Kilometer mit einem europäischen PKW entspricht.

Ein Kilogramm niederländisches Hühnerfleisch schneidet demnach noch am besten ab, weil es in seiner Herstellung nur 6,2 kg Kohlendioxid emittiert. Allerdings wird auf die Art der Haltung nicht näher eingegangen. Auch eine FAO-Studie von 2013 hält die intensive Hühner- und Schweineproduktion für “effizienter” und “besser” als Rindfleisch.

Immerhin warnt der Autor Kurt Schmidinger davor, von Weidehaltung auf industrielle Tierhaltung umzustellen, weil dies den Druck auf die Ackerflächen erhöhe. Denn Mastschweine, Mastrinder oder Milchkühe, die auf engstem Raum in Ställen eingepfercht sind, übertragen nicht nur Seuchen, sie leiden auch unter Antibiotikaresistenzen und haltungsbedingten Tierkrankheiten. Und sie produzieren Unmengen an Gülle. Unterm Strich werden in der industriellen Tierproduktion mehr Treibhausgase emittiert als bei extensiver Weidehaltung.

Kohlenstoff speichern bis in die Wurzelspitzen

Innerhalb von Millionen Jahren beeinflussten Wildpferde, Auerochsen und Wisente mit ihrer Beweidung die Entwicklung des Dauergrünlandes. Als Menschen vor rund 11.000 Jahren die ersten Wildrinder domestizierten, prägten weidende Wiederkäuer fortan die Graslandschaften auf Hochebenen und in Bergregionen. Bis ins frühe Mittelalter hinein beweideten Wisente die Urwälder in West-, Zentral- und Südosteuropa. Heute versucht man Wisente vor allem wegen ihrer Leistungen in der Landschaftspflege an geeigneten Orten wieder anzusiedeln.

Wisent im Wisentgehege Springe bei Hannover. Bild: Michael Gäbler / CC-BY-3.0

Überall wo der Boden über Jahre hinweg mit mehrjährigen Gräsern bedeckt und wo nachhaltiges Weidemanagement praktiziert wird, lagert sich atmosphärischer Kohlenstoff im Boden ein, erklärt die Veterinärmedizinerin Anita Idel.

Gigantische Feinwurzelsysteme durchdringen den Boden bis zu einigen Metern tief, wobei sie enorm viel Biomasse ausbilden. Je mehr es davon gibt, umso mehr Kohlenstoff wird eingelagert. Die dicht verworrenen, meterlangen Wurzeln verlangsamen den Wasserabfluss, so dass Bodenerosion verhindert wird. Mehr noch: Die Struktur beschädigter Böden wird wieder aufgebaut.

Beweidung fördert Humusaufbau

Damit sich eine Tonne Humus bilden kann, werden der Atmosphäre neben Sauerstoff auch 1,8 Tonnen Kohlendioxid entzogen. Insgesamt wird ein halbe Tonne Kohlenstoff dauerhaft im Boden eingelagert. So kann Dauergrünland klimawirksame Gase binden. Umgekehrt werden die Gase überall dort, wo Grünland umgebrochen wird, wieder freigesetzt.

Bei all diesen Prozessen spielt Beweidung eine wichtige Rolle: Beisst ein Weidetier in einen Grashalm, löst es einen Wachstumsimpuls direkt in den Wurzeln aus. Infolge dessen nimmt die Wurzelmasse zu. Bei nachhaltiger Beweidung erhöht sich nicht nur die Bodenfruchtbarkeit, auch die Erosion verringert sich, während der Boden insgesamt mehr Wasser aufnimmt. Je vielfältiger und weiträumiger die Vergesellschaftung mit Bodenorganismen wie Bakterien und Pilzen, desto besser werden Nährstoffe aufgenommen und umso besser wird das Wasser weitergeleitet.

Wegen seiner flächendeckenden Ausdehnung kann Dauergrünland weltweit rund 35 Prozent des in den terrestrischen Ökosystemen eingelagerten Kohlenstoffs speichern. Das betrifft vor allem Wiesen und Weiden, die seit mindestens fünf Jahren nicht als Acker genutzt wurden. Damit ihre Grasnarbe nicht geschädigt wird, bedürfen steile Hanglagen, aber auch vernässte und trockene Böden eines besonderen Weidemanagements.

Intensiv bewirtschaftetes Grünland bildet nur wenig Wurzelmasse aus. Nicht nur das Potenzial zur Bodenbildung und Wasserspeicherung nimmt ab, sondern auch die biologische Vielfalt und die Bodenfruchtbarkeit. Auch fixiert neu eingesätes Gras mehr Stickstoff und verbessert die Bodenstruktur, dafür speichert es wegen seiner kleinen und filigranen Graswurzeln kaum Kohlenstoff. Auch kann sich schlecht bewirtschaftetes Grünland relativ schnell in humusreichen, fruchtbaren Boden zurückverwandeln.

Moderne Milchrinderzucht – eine Sackgasse?

Nicht nur die Ökoleistungen, auch der ökonomische Wert fruchtbaren Grünlandes im Milchviehbetrieb wird unterschätzt: So kann eine Kuh alleine aus dem Grundfutter aus hochwertigem Gras und Klee das Zehnfache ihres Körpergewichtes an Milch pro Jahr bilden. 1

Aber nur dann, wenn sie in der Lage ist, Gras in Milch umzusetzen. Die moderne, an Kraftfutter gewöhnte Milchkuh, die zeitlebens mit Getreide, Mais, Gerste und Sojaschrot gefüttert wird und die täglich 40 bis 50 Liter Milch geben muss, wird von einem Gang auf die Weide nicht annähernd dieselbe Leistung liefern.

So steigerten Holstein-Friesian-Kühe ihre Leistung von 1990 bis heute von durchschnittlich 4700 auf 7600 Kilo Milch. Eine Kuh gibt inzwischen mehr Milch, als ihr Organismus verkraften kann. Das geht soweit, dass sie den gewaltigen Energiebedarf ihrer eigenen Milchproduktion mit der Nahrungsaufnahme nicht mehr decken kann. Nach maximal drei Jahren Milchproduktion magern die Kühe stark ab und und gehen mit einem Durchschnittsalter von fünf Jahren zum Schlachter. Diese Art von Tierzucht ist nicht nur Tierquälerei, síe macht auch ökonomisch keinen Sinn.

Holstein-Rinder. Bild: Laptaria cu caimac / CC-BY-SA-4.0

“Bodenunabhängige Tierproduktion” mit Gülle-Überschüssen

Um die wachsende Zahl an Nutztieren in industrieller Massentierhaltung satt zu bekommen, werden mehr als Zwei Drittel der in der EU verfütterten Proteine importiert. Seit den 1970er Jahren geht die Intensivierung der Tierhaltung mit verstärktem Anbau von Mais und Soja einher. Rund die Hälfte der weltweiten Getreideernte wird für den Futtertrog produziert.

Längst kann der Feldfutterbau in Regionen, in denen besonders viele Nutztiere auf engstem Raum zusammengepfercht sind, den immensen Futterbedarf nicht mehr decken. Nur dank des importierten Kraffutters erreichen Masttiere innerhalb weniger Wochen ihr “optimales” Schlachtgewicht.

Währenddessen nimmt der ökologische Fußabdruck in der Tierproduktion mit seiner energieaufwändigen Produktion von Kraftfutter und der weltweiten Expansion der Milch- und Fleisch-Konzerne dramatisch zu. So werden Nutztiere zu Nahrungskonkurrenten des Menschen gemacht.

Die wachsenden Güllemengen müssen irgendwo entsorgt werden. Jahrzehntelang hat man die nährstoffreiche Brühe unkontrolliert auf Äcker und Grünland gekippt – bis Experten eine zu hohe Nitratbelastung in den Gewässern feststellten. Hinzu kam die abnehmende biologische Vielfalt der Böden und die Emissionen aus Lachgas und synthetischen Stickstoffdüngern. Zwar soll mit der neuen Düngeverordnung die Ausbringmenge flüssiger organischer Düngemittel auf Grün- und Ackerland auf 80 Kilo Stickstoff pro Hektar begrenzt werden.

Doch wie soll das gehen, wenn die Tierzahl in den Ställen unverändert hoch bleibt? Hätte man vor Jahren die Zahl der Nutztiere begrenzt, kritisiert der Agrarwissenschaftler Onno Poppinga, lägen die Stickstoffüberschüsse heute nicht bundesweit bei mehr als 100 Kilogramm je Hektar. Darüber hinaus bedeuten die Überschüsse für die Landwirte auch einen finanziellen Verlust von etwa 1,8 Milliarden Euro.

Extensive Beweidung schützt das Klima

Ein Drittel der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche ist Ackerland, zwei Drittel Grasland. Bezogen auf die gesamte Erdoberfläche sind mehr als 40 Prozent Grasland. Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass 100 Millionen Menschen in Trockengebieten und weitere 100 Millionen Menschen in anderen Klimazonen auf Weidetiere als einzige vorhandene Einkommensquelle angewiesen sind.

Zudem liefern Feuchtwiesen, Steppen und Savannen die größte Nährstoffbasis zur Proteinbildung, wie eine Studie bereits vor 20 Jahren nachwies.

Im Rahmen einer Kurzstudie im Auftrag der Klima-Allianz Deutschland bringen Umweltorganisationen eine Reihe von Ideen zur Minderung von Treibhausgasen ein. Stickstoffeinträge sollen reduziert, mehr Humus in Mineralböden aufgebaut, landwirtschaftlich genutzte Moore renaturiert und Dauergrünland flächenmäßig vergrößert werden.

Würden Lebensmittelabfälle reduziert und weniger Tiere gehalten, heißt es zum Beispiel, ließen sich 7,8 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen.

Da hinein passt das Konzept der extensiven Grünlandbeweidung. Ausreichend Platz für glückliche Kühe im Freiland – das entspricht auch den arteigenen Bedürfnissen von Wiederkäuern. Funktionieren kann das nur, wenn sich die Zahl der Nutztiere deutlich verringert. Denn Grünland ist nicht unbgegrenzt vorhanden. Vor allem müssten wir konsequenterweise unseren Konsum von Fleisch- und Milchprodukten deutlich einschränken.

Source : Telepolis : https://heise.de/-4725693

Autor : Susanne Aigner

Recht auf Reparatur

Recht auf Reparatur

Immerzu brauchen wir neue Kabel, Stecker und Handys, weil sie sich nicht reparieren lassen. Schafft es Europa, eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft zu werden?

Wie viele Kabel haben Sie in Ihrem Leben schon gekauft? Bei mir waren es viele. Das eine verschwand, das nächste ging kaputt und das übernächste flog weg, weil es für das neue Gerät nicht mehr zu gebrauchen war. Die einzige sichere Konstante durch all die Jahre war nämlich: Neues Handy – neues Kabel. (Manchmal auch neues Handy – neuer Kopfhörersteckeranschluss. Oder neuer Laptop – neuer Stecker.) Die Verbindung meiner Kommunikationsgeräte mit der Steckdose hat mich jedenfalls eine Menge Euros gekostet.

Ginge es dabei nur um mich und meine Schlampigkeit, wäre die Sache irrelevant. Aber pro Sekunde gehen in der EU etwa sieben Handys über die Ladentheke. Millionen Meter Ladekabel kommen dazu. Man stelle sich die Kabel mal als Müllberg vor – und lege noch die Handys obendrauf, die weggeworfen werden, weil die Hersteller die Reparatur schwer oder unmöglich gemacht haben. Und dann noch all die anderen elektrischen Geräte. 12 Millionen Tonnen Elektroschrott kommen in Europa jedes Jahr zusammen. Die Ressourcenverschwendung ist also riesig, unnötig und ein politischer Skandal – jedenfalls in Zeiten, in denen alle über die Übernutzung der Erde klagen.

Tatsächlich ist das Problem schon länger bekannt. Bereits 2009 hatte die EU-Kommission angekündigt, wenigstens für die Handys einen Generalstecker durchsetzen zu wollen. Sie ließ sich dann auf einen Deal mit den Herstellern ein. Das Ergebnis kann man heute in jedem Elektroladen sehen. Vor allem Apple produziert auch 2020 weiter, was es will: immer mal wieder neue Anschlüsse, Akkus, die alt werden und sich eigentlich nicht herausnehmen lassen. Das Signal an den Kunden ist deutlich: Reparieren unerwünscht!

Nun könnte man argumentieren: Wenn der Kunde es kauft, ist er selber schuld. Aber das ist dann so wie mit dem dicken SUV – natürlich ist der Käufer mitverantwortlich für die Verschwendung, wenn er entweder mehr PS oder immer das neueste Smartphone haben will. Aber die Betonung liegt auf “mit”. Auch der Hersteller, der die umweltverschmutzenden, müllproduzierenden Dinger bewirbt und keine Alternative anbietet, trägt Verantwortung. Und wenn er der nicht nachkommt, dann muss die Politik ran. Jedenfalls wenn sie ihr Versprechen einer intakten Umwelt ernst nimmt, das sie den Bürgern immer wieder gegeben hat.

Heute weint kaum noch jemand um die Glühbirne

Ein paar Mal hat die EU bereits eingegriffen. Trotz wilder Proteste hat sie das Verbot der energiefressenden Glühbirne durchgesetzt – und siehe da: Heute weint kaum noch jemand, denn es gibt einen wahren Boom aller möglicher (stromsparender) und extravaganter Leuchtmittel. Ähnliches lässt sich über andere “energieverbrauchsrelevante Produkte” sagen. Durch die sogenannte Ökodesignrichtlinie hat die EU dafür gesorgt, dass Staubsauger, Kühlschränke und Klimaanlagen heute weniger Strom brauchen.

Nur, Strom ist eben nur ein Teil des Problems der Produkte – und deswegen werden jetzt die Umwelt- und Verbrauchergruppen aktiv. Sie fordern in einer Petition die Reparierbarkeit von Smartphones europaweit zu erzwingen, etwa unter #longlivemyphone.

Die EU solle mit dem für Anfang März angekündigten Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft dafür sorgen, dass Geräte grundsätzlich reparierbar designed werden. “EU”, “Aktionsplan” – allein diese beiden Worte sorgen wahrscheinlich schon dafür, dass viele nun gähnen. Und tatsächlich ist die Gefahr groß, dass die Sache nur ein paar Technokraten interessiert. Doch das wäre falsch. Denn im Kern geht es bei dieser und bei vielen anderen kommenden Entscheidungen der EU immer um die eine große Frage: Wird allein Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weiter von einem Green Deal träumen – oder schafft Europa es, tatsächlich zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft zu werden?

Wenn es gut geht, werde ich mein Geld fürs Kino ausgeben und nicht fürs Kabel. Wenn die Sache schiefgeht, kommt die EU-Vorschrift für einheitliche Handy-Stecker zwar irgendwann. Aber erst dann, wenn die Geräte längst alle kabellos aufgeladen werden. Und ich mir statt eines neuen Kabels ein neues Ladegerät kaufen muss.

Autorin : PETRA PINZLER

Erschienen am 20.02.2020 in der ZEIT Kolumne FÜNF VOR 8:00