Ein Google-Mitarbeiter hat seinen Job verloren, weil er über unterschiedliche Interessen von Männern und Frauen gesprochen hatte. Das aber ist kein Sexismus.
VON JOCHEN BITTNER
Der norwegische Soziologe und TV-Komiker Harald Eia hat vor einigen Jahren etwas sagenhaft Mutiges getan. Er ging zunächst in die Teeküche für das Pflegepersonal auf einem Krankenhausflur und fragte, warum dort so wenige Männer arbeiteten.
Als Nächstes besuchte er die Kantine eines Ingenieurbetriebs und fragte, wieso dort so wenige Frauen säßen. In Norwegen!, wunderte sich Eia. Im freiheitlichsten, gleichesten, fortschrittlichsten Land der Welt segregieren sich die Geschlechter nach Jobs – offenbar freiwillig.
Naja, antworteten ihm die Krankenpflegerinnen, Männer interessierten sich halt eher für Technik, Maschinen, solche Dinge. Ja nun, sagten die Ingenieure, Frauen fänden es wohl spannender, mit Menschen zu arbeiten.
Ein Glück, dass diese Leute nicht bei Google angestellt gewesen sind. Ansonsten hätten sie sich nach diesen Äußerungen einen neuen Job suchen müssen – der Ideologie des Google-Chefs Sundar Pichai folgend die Frauen am besten als Automechanikerinnen, die Männer am liebsten als Kindergärtner.
Was ist passiert? Ein mittlerweile Ex-Mitarbeiter von Google, James Damore, hat vor wenigen Tagen etwas ähnlich sagenhaft Mutiges getan wie Harald Eia. Er hatte behauptet, es gebe genetische Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die sich – immer im Durchschnitt und pauschal betrachtet – in unterschiedlichen Interessen äußerten. Um zu erklären, warum 80 Prozent der Angestellten in Googles Techniksparte Männer sind, verwies Damore auf eine Reihe von Studien, laut denen – kurz gesagt – Männer interessierter an Dingen sind und Frauen interessierter an Leuten.
Wissenschaftliche Fakten interessieren nicht
Wissenschaftliche Fakten interessierten aber weder den Google-Chef noch viele Journalistinnen und Journalisten, die über das vermeintlich skandalöse Memo Damores berichteten. “Zu behaupten, dass eine Gruppe unserer Kollegen Eigenschaften haben, die sie biologisch weniger geeignet machen, diese Arbeit zu verrichten, ist beleidigend und nicht ok”, schrieb Google-Chef Pichai in seiner Kündigungsbegründung. Auch Autorinnen auf ZEIT ONLINE und Spiegel Online unterstellten Damore flugs, ein Sexist zu sein.
Nun hatte Dalmore aber gar nicht bestritten, dass es Programmiererinnen geben kann und gibt, die genauso gute oder bessere Arbeit leisten als Programmierer. Er sagte nur, dass es deutlich weniger Programmiererinnen als Programmierer gibt und dass dies etwas mit dem unterschiedlichen Aufbau von männlichen und weiblichen Gehirnen zu tun haben könnte.
Natürlich ist Sexismus ein Problem (Damore weist in seinem Memo ausdrücklich darauf hin), wahrscheinlich sogar bei Google. Aber was hat das eine, die Reduzierung von Frauen auf Stereotype, mit dem anderen zu tun, den Ergebnissen von neuro- und evolutionswissenschaftlicher Forschung?
Harald Eia, der unerschrockene norwegische Fragesteller, interviewt als nächstes Genderforscher, die ihm sagen, das Interesse von Mädchen an Puppen und das Interesse von Jungen an Autos sei auf soziale Prägung zurückzuführen, dieser Unterschied habe nichts mit der Gehirnstruktur zu tun. Zwar gebe es Wissenschaftler in den USA, die dies anders sähen, aber die seien nicht ernst zu nehmen.
Auch Säuglinge ohne soziale Prägung haben geschlechtsspezifische Interessen
Eia fliegt trotzdem hin, interviewt diese seltsamen, angeblich altmodischen Wissenschaftler, und ihre Forschungsergebnisse beeindrucken ihn. Sie haben unter anderem festgestellt, dass Säuglinge, die noch keine nennenswerte soziale Prägung erfahren haben, auf unterschiedliche Symbole unterschiedlich intensiv reagieren; Mädchen eher auf Gesichter, Jungen eher auf geometrische Formen. Evolutionswissenschaftler sagen Eia außerdem, dass es für die Fortpflanzung einer Art vorteilhaft sei, wenn Frauen, weil sie den Nachwuchs gebären und stillen, diese Aufgabe als etwas Erfreuliches empfänden. Die Evolution habe deshalb dafür gesorgt, dass Frauen typischerweise zu mehr sozialer Empathie und Geselligkeit neigten.
Der New York Times-Journalist David Brooks, der sich lange mit Verhaltensforschung und Fragen zur Charakterbildung beschäftigt hat, kommt zu dem Schluss, dass im Streit um genetische oder soziale Prägung die Evolutionsbiologen den Sieg davongetragen haben.
Eine politische interessante Frage, die sich aus diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen ableiten ließe, wäre: Wenn es stimmt, dass genetische Prägungen stark mit dafür verantwortlich sind, dass Frauen eher Berufe wählen, die im Schnitt schlechter bezahlt sind, als die Berufe, die eher Männer wählen, müsste eine faire und aufgeklärte Gesellschaft diese biologisch bedingten Präferenzen dann nicht finanziell ausgleichen?
Stattdessen könnte ich mich als Mann natürlich über die Behauptung ereifern, dass mein Geschlecht weniger empathisch und gesellig sein soll als das weibliche – wie sexistisch, beleidigend und nicht ok! Aber das wäre ziemlich albern. Ich denke eher: Schön, dass wir die Ursachen für gewisse Unterschiede kennen, ganz gut sogar, dass Männer und Frauen genetisch unterschiedlich geprägt sind – und noch besser, dass als Individuum trotzdem jeder den Anspruch hat, als eben solches behandelt zu werden, sprich: genau wahrgenommen zu werden, mit allen Interessen, Talenten und Argumenten (!), bevor man über ihn oder sie urteilt. Oder, Kolleginnen und Kollegen?